Gedankeninseln
Ich hatte jetzt seit einer geschlagenen Stunde überlegt, was ich denn schreiben soll. Der Titel war so vielversprechend, dass ich plötzlich, einer fixen Idee folgend, auf meine Tastatur einhämmern und einen phänomenalen Artikel schreiben wollte. Ich öffnete also meinen Blog und alles ging viel zu langsam. Viel zu langsam. Entnervt wartete ich auf das Öffnen der Seite, der nächsten Seite und der nächsten Seite.
Mittlerweile hatte ich nach mehrmaligem Neuanfang völlig verdrängt, was das eigentlich war, was ich da aufschreiben wollte. Ein Monster war es, sprühend vor Witz und Einfallsreichtum, nicht nur auf meinem Mist gewachsen aber trotzdem originell - so wie die Überschrift. Diese hat sich übrigens ergeben aus einem komischen Zufall. Ich hörte mit halbem Ohr dem Fernseher zu und schnappte - wie kann es anders sein - in einer amerikanischen Arztserie ein paar Fachbegriffe auf, die dort in Verbindung einer vermeintlich unheilbaren Patientin zur nicht leichten aber vermutlich guten Lösung führen sollten. Naja, da kam die Überschrift bei raus.
Was kam noch bei raus? Bei einem weiterem Versuch, den leisen Stimmen zu lauschen, bekam ich mit, dass es doch gut sei, einmal etwas anders zu machen. Da fiel mir dann wieder ein, dass ich das heute sogar schon gemacht hatte. Nur so zum Spaß versuchte ich heute einen Latte Macchiato so einzugießen, dass sich der Kaffee, nicht wie normalerweise oben abgesetzt, unten sammelt und die Schicht Milch darüber liegt. Da sowieso in den wenigsten Fällen gewürdigt wird, wie gut wir Hobbybaristas Latte Macchiato machen können, konnte dem Gast das Procedere völlig egal sein und so goß ich die Milch hinter der Maschine in den Becher, steckte einen Strohhalm rein und goß den Espresso durch den Strohhalm ganz nacht unten. Das Ergebnis war ziemlich perfekt und wurde wie alles, was in einer Strandbar an Kaffeekunst erwartet wird, schmählich mit dem Strohhalm zerstört, weil der Zucker verrührt werden musste. Naja, genauso wie im Verlauf der Arztserie wird also das Ergebnis das Gleiche bleiben, nur war der Weg eben ein anderer.
Und zu guter Letzt? Als Drittes sozusagen begegneten mir die Ultimaten, eine sternenfahrende Zivilisation von Überwesen, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, die Erde zu erobern. In Wahrheit ist das nur die Mehrzahl von Ultimatum aber eins klingt schon so schrecklich, da müssen viele noch viel schrecklicher sein.
Fast jede Tätigkeit, die man sich vornimmt, kann zu einem Ritual ausgebaut werden, selbst dann, wenn sie sehr selten ausgeführt wird. Ich trank heute Filterkaffee aus einer Thermoskanne.Das tue ich sehr selten, lieber trinke ich Espresso, den es nicht gab. Die Milch zum Kaffee kam aus einer kleinen Pappschachtel, genannt Tetrapack. Im Gegensatz zur Thermoskanne ist die Pappschachtel was Inhalt und Gewicht anbelangt relativ leicht zu bestimmen. Deshalb treffe ich zum Trinken immer gewisse Vorbereitungen. Bei den ersten zwei Tassen Kaffee beginne ich die Eingießprozedur immer mit der Milch, um mich beim Mischungsverhältnis nicht zu verschätzen. Mit zunehmender Leere der nicht einsichtigen Kaffeekanne steigt jedoch das Risiko, das Mischungsverhältnis zu versauen, weil der Kaffee nicht reichen könnte.
Also drehe ich das Verfahren ab der zweiten Tasse um und gieße zuerst den Kaffee in die Tasse. Und wenn man dann zu sehr in das Ritual versunken ist, kann es passieren, dass man Dinge umkehrt, die sich dazu nicht eignen. So saß ich also auf meinem Stuhl und drehte den Deckel der Thermoskanne so fest zu, dass ich Mühe hatte, ihn wieder zu öffnen, als mir klar wurde, worin der Fehler bestand.
In der Tat könnte jetzt der ein oder andere denken, das hatten wir doch schon mal? In der Tat, das ist nicht neu. Jedenfalls nicht ganz neu. Die üblichen Verdächtigen sind mit von der Partie, Laborchef Dr. Klenk, ein ominöser Monitor mit ganz fiesen Grafiken drauf, eine weiße Flasche mit rotem Deckel und ein hochdramatischer Sprecher, der aus dem Off auf uns einspricht.
Spätestens jetzt wird es dem ein oder anderen vielleicht bekannt vorkommen und wenn nicht, dann kann ja
hier noch einmal nachgelesen werden. Als ich heute nach langer Abstinenz wieder einmal den Flimmerkasten einschaltete, um mir einen meiner Lieblingskomiker ( gewollte Komik übrigens ) anzusehen, musste ich in den Unterbrechungen, auch mit den anderen Komikern auskommen. Die Pause nutze ich immer, um meinem Kühlschrank einen Besuch abzustatten, leider ist unser Flur keine 50 Meter lang, so dass ich nach spätestens 3 Spots wieder da sitze, wo ich herkam. Mit einem frischen, kalten Bier in der Hand. Während ich also da sitze und an meinem Bier nuckele, höre ich doch plötzlich von Schuppen-Killer Shampoo. Ich kratze mich nervös am Kopf und muss sofort an
nömix denken. Die Stimmung kippt endgültig, als ich höre, dass sich Hefe auf meinem Kopf breit macht. Dabei habe ich genau aufgepasst, dass mir vom Bier nichts daneben läuft, es sollte doch
im Kopf breit machen. Die Werbung ist vorbei, ich denke mir, das war ein böser Traum, es kommt darauf eine Sagrotan-Werbung ( spätestens hier muss der Groschen fallen ), die von einem Schneidbrett als Toilettendeckel handelt. Alles scheint möglich.
Ich mache also nach kurzer Abstinenz meinen Rechner an und will es genau wissen. Drei Worte: Schuppen, Killer, Shampoo. Wohin führt der erste Link? Na sicher,
zu Alpecin ( Achtung Werbung, aber der Bindestrich ist die Reise wert, wo ich schon wieder an
nömix denken muss ). Man sieht sich immer zweimal, so wohl auch bei Dr. Klenk und mir. Darauf ein Bier, aber nicht auf die Haare.
Ich habe mir für die Zwischenzeit ( also zwischen den Semestern ) ein paar Arbeiten aufgehalst, die mich jetzt irgendwie lähmen und so langsam zu drücken anfangen. Die Euphorie über die erwachsenden Möglichkeiten ist längst verflogen, nächste Woche kommt noch eine Exkursion dran und irgendwie habe ich mir die Ferien - wie so oft - ganz anders vorgestellt. Scheiße.
Die Zwischenzeit ist genauso mit guten Vorsätzen gespickt wie die Zeit zwischen der Zwischenzeit, die Unlust ist ein zeitloser Begleiter, der wandert einfach mit, da kann ich nichts machen.
Manchmal sind so Tage, an denen fragt man sich, was aus ihnen geworden wäre, wenn sie nachts stattgefunden hätten. Vielleicht hätte man diese Tage verschlafen? Vielleicht wären auf den Straßen viel mehr Unfälle passiert, weil die Leute ihr Licht am Auto nicht eingeschaltet hätten, ist ja schließlich tags. Und nachts dann, wenn sie schlafen wollen, können sie nicht, weil die blöde Sonne rauskommt und durch blick- aber nicht lichtdichte Vorhänge reinscheint.
Leute die zur Arbeit gehen, werden zu nächtlichen Ruhestörern. Vielleicht tritt noch einer aus Versehen einen Autospiegel ab, weil er nichts sehen kann; die Straßenbeleuchtung ist ja auch nicht an. Diskotheken verzeichnen rückläufige Besucherzahlen, weil sich Leute im Hellen betrachtet lieber nicht unter die Augen treten wollen. Der Alkohol zieht immer noch die häßlichsten Fratzen.
Am folgenden Tag, wenn die Sonne untergeht, klingelt der vermaledeite Wecker schon wieder zur Unzeit. Es ist eine Stunde vor Sonnenuntergang und im Bad muss schon das Licht eingeschaltet werden, damit die Rasur noch klappt. Als der Tag endlich geschafft ist geht die Scheißsonne wieder auf. Das Fernsehprogramm ist zum Kotzen, weil da plötzlich gutgelaunte Honks zum Frühstücksfernsehen blasen und verzweifelte Anrufer mit dummen Bildschirmspielen quälen. Weil einfach alles verkehrt herum ist; und keiner merkt's.
Gestern hatte ich ein wirklich unheimliches Erlebnis. Das beklemmenste daran war, dass es während des Schreibens einer Email passierte und mich deshalb auch völlig unvorbereitet traf. Ich schrieb gerade den Text fertig und hatte alles andere im Sinn als darauf zu schauen, was links und rechts vom Bildschirm passierte und so war ich nach längerem Schreiben in eine hochkonzentrierte Phase übergetreten, aus der mich nur ein Telefon oder eine Türklingel wecken kann. Gespräche und dergleichen, herabstürzende Teile oder auch zufliegende Fenster werden nur kurz gedanklich notiert, haben aber keinen Einfluss auf meinen Zustand. Wenn sich jedoch der Bildschirm plötzlich verdunkelt und sich ein Fenster öffnet, was ein "OK" oder "Abbrechen" von mir fordert, obwohl ich doch nichts weiter tun wollte, als die Mail abzuschicken, dann ist die Hochphase der Konzentrationsfähigkeit überschritten. Bei Popups grundsätzlich mißtrauisch, achtete ich darauf gar nicht, sondern versuchte mit der linken Hand bereits die Strg-Taste und das "C" zu bedienen und mit der rechten die Maus über den Text fahren zu lassen, um den gerade abzuschickenden Text zu retten. Das gelang mir nicht, der Text schwebte im gräulich eingefärbten Hintergrund irgendwo zwischen "Gesendet" und "Aufgehängt". In solchen Momenten wünsche ich mir immer, dass Emails auch nur 160 Zeichen fassen, das würde die Informationsdichte erheblich beeinflussen und bei Abstürzen müsste nicht soviel neu geschrieben werden.
Nachdem ich mit hektischer Linse den Raum um das Popup abgesucht hatte, musste ich feststellen, dass kein Weg an diesem Fenster vorbeiführt. Was will das Fenster also? Das Fenster fragte mich doch allen Ernstes, ob ich die Mail abschicken wolle. Ich habe nämlich im Email-Text ein "Anbei" hinterlassen und unverfrorener Weise keinen Anhang zur Mail.
So völlig ohne Anhang ist ein "Anbei" natürlich absolut gegenstandslos, Informationen könnten ja dann mit "Übrigens" oder "Wußtest du schon" übermittelt werden. Während ich mich also fragte, warum ich nicht "Übrigens" geschrieben hatte, um mich der hochnotpeinlichen Befragung durch meinen Emailprovider zu entziehen, drückte ich auf den OK-Button und die Mail wurde abgeschickt.
Heute morgen nach reiflichem Überlegen bin ich ehrlich gesagt froh, dass ich nicht "Übrigens" oder "Wußest du schon" geschrieben hatte. Wer weiß, ob mich der Provider dann nicht gefragt hätte, wo denn die eigentliche Information zu finden sei, die ich hier angekündigt hatte.
In meiner nächtlichen Euphorie, gestärkt durch mehrere Kölsch, griff ich einen Faden wieder auf, den ich mir vor ein paar Tagen in mein Notizbüchlein schrieb. Bis jetzt kann ich mir keinen Reim darauf machen. Ich sehe mir das entstandene Gerüst auch nur von außen an und bin längst nicht in der Lage mit fachlicher Kompetenz auf Einwände zur reagieren. Trotzdem, oder gerade deswegen, treibt mich dieser Gedanke um:
Die Katholiken sind die Protestanten der Juden
Der echte Schlaf ist flüchtig. Die reinsten Essenzen sind von jugendlicher Unschuld und für kein Geld der Welt zu kaufen. Das Bett ist völlig egal. Ein rostiger Suppentopf könnte als Kopfkissen dienen und als Decke vielleicht der Lappen, den man normalerweise darauf verwendet, den Ölstand beim Auto abzumessen. Das ist alles egal.
Für diesen Schlaf braucht es kein Interieur. All die Zeremonienmeister mit ihren Kaschmiraugenmasken, Wasserbetten mit verschiedenen Beruhigungsstufen oder ganz spezieller Einschlafmusik, sie wollen alle nur eins:
Sie wollen kurz erwachen, weil sie das Gefühl haben, über sie wacht jemand, und mit diesem Gefühl wieder einschlafen – so wie mein Sohn, 10 Wochen alt.
Als ich am Wochenende in meiner alten Heimat war, besuchte ich zusammen mit meiner Frau und Kind einen guten Freund und seine Frau. Wir kennen uns schon seit unserer Geburt sozusagen, zumindest unsere Mütter kennen sich schon so lang und wir beide seit dem Kindergarten.
Meine "alte Heimat" ist eben absolut zufällig von mir geschrieben worden, und während dies geschah, musste ich mich doch über die Präzision dieser Formulierung wundern, die sowohl meine alte Verbundenheit mit Magdeburg aber auch nur ein Zurückblättern zu einem längst abgeschlossenen Kapitel bedeutete. Hier bin ich aufgewachsen, habe meine Jugend verlebt aber als es ernst wurde, bin ich abgereist und habe mir ein neues Domizil gesucht. Das ist jetzt 6 Jahre her.
Am Samstag saßen wir dann bei den beiden herum, zuerst im Wohnzimmer und später der besseren Unterhaltung wegen auf dem Dach des Hauses. Das Haus ist ein zehngeschossiger Klotz, der letzte unsanierte in einer Reihe, die im Abstand H1 zu insgesamt sieben solcher Klötzer angeordnet sind. H1 bedeutet, es ist genausoviel Platz zwischen den Gebäuden, wie jedes einzelne hoch ist. Als Architekt muss man so etwas wissen und mein Freund ist Architekt. Warum er jedoch als aus gutbürgerlichem Elternhaus stammender, niemals auf eine Plattenwohnung angewiesener in eine solche gezogen ist, erschließt sich mir nur durch solche im Nebensatz formulierten Feinheiten.
Er wohnt in der 10. Etage, die als 9. gekennzeichnet ist, weil es ja auch ein EG gibt. Auch das ist mir ein Rätsel aber danach habe ich ihn nicht gefragt. Der Fahrstuhl fährt übrigens nur bis in die 8. Etage. Das hat er schon immer so gehandhabt und bei den meisten 10ern ist das wohl heute noch so - wenn nicht die Fahrstuhlanlage komplett überholt worden ist. Wir müssen also immer noch eine Etage nach oben laufen, im Fall, dass wir auf dem Dach sitzen wollen, sogar zwei. Für die Aussicht macht man das aber gern.
Sitzt man wie wir mit Blick in die langsam untergehende Abendsonne so erschließt sich in weiter Entfernung ein Meer aus Windrädern. Ganz nah und halb links befindet sich das Gelände der medizinischen Akademie, die heute anders heißt. Ein Meer aus sattem Grün mit versprenkelt darin zum Vorschein kommenden alten Ziegeldächern. Rechts der Sonne erstreckt sich die Stadt. Früher, vor der Zerstörung im zweiten Weltkrieg muss Magdeburg mehr Kirchen als Christen gehabt haben, heute sind es weniger Kirchen, die Zahl der Christen kenne ich nicht. Ein paar neue Kirchen sind auch gebaut worden. Der Schandfleck halb rechts, die Johanniskirche, wurde ja schon vor Jahren voll saniert, mittlerweile kann man auch von dort die Aussicht genießen und vielleicht stehen dort gerade Leute auf dem Turm und schauen zu uns herüber. Um etwas zu erkennen, sind wir aber viel zu weit weg.
Noch weiter rechts kommt der Dom, den man schon deshalb nicht verwechseln kann, weil es die höchste Erhebung in der Gegend darstellt. Die Gerüste, die beide Türme bekleistern, kann man nicht mehr abnehmen, weil sich der Boden darunter - der Domfelsen - als nicht so hart präsentiert, wie es die Erbauer gern gehabt hätten. Der Dom sackt ab, langsam. Vielleicht ist es bald ein schiefer Dom. Vielleicht ist er schon schief. Hinter uns ergrünt seit ein paar Jahren das stillgelegte ehemalige Gelände der SKET, dem Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Viele der Produktionshallen sind abgerissen, dort stehen jetzt kleine Birken und Pappeln und Ahorn und Linden.
In nächster Nähe von uns zu beiden Seiten, schaut man in die langen Fensterreihen der anderen Klötzer. Wie ein Adventskalender gehen ständig irgendwo die Lichter an und es erscheinen Menschen vor den Fenstern. Dann gehen die Lichter wieder aus und das Leben zieht zu einem neuen Fenster, vielleicht auf der Rückseite, die wir nicht sehen können. Es gibt immer zwei Seiten, die Vorderseite, dort wo der Eingang ist, haben die Fenster eine klare Hierarchie. In der Mitte ist das Flurfenster. Links davon kommt zuerst das Küchenfenster, dann das Badezimmer. Danach häufig das Kinderzimmer und dann kommt noch ein häufig als Schlafzimmer genutzter Raum, danach ist Schluss. Zur rechten kommt zuerst das Badzimmerfenster, dann die Küche und auch danach häufig das Kinderzimmer - heute wohl eher der Hobbyraum, Kinder gibt es hier nicht mehr so viele. Die Symmetrie wird durch den Blockcharakter durchbrochen. Die Versorgungsleitungen sind immer gleich, deshalb ist links zuerst die Küche und nach weiter außen hin das Bad und auf der rechten Seite ist es genau anders herum.
Auf der Rückseite des Gebäudes ist es schwieriger, die Zimmer ihren Funktionen zuzuordnen. Wenn ich jedoch ganz rechts außen beginne, kommt wohl zuerst das Wohnzimmer der Wohnung, die auf der Vorderseite über das Kinderzimmer und das Schlafzimmer auf der linken Seite verfügte. Danach folgt das Schlafzimmer einer Wohnung, die nach vorn raus überhaupt kein Zimmer hat. Diese Wohnung gleicht im Grundriß der Wohnung meines Freundes bis ins kleinste Detail, die Inneneinrichtung bei ihm ist jedoch einzigartig. Dann kommt das Wohnzimmer und dann das Küchenfenster. Nun ist die linke bzw. rechte Seite eines Eingangs abgeschlossen. Es folgt die umgekehrt angeordnete Fensterreihe der rechten bzw. linke Seite des Eingangs.
Gegen 23.00 Uhr sind wir runtergegangen vom Dach, die Sonne war längst verschwunden. Die Faszination dieser aus dem Gedächtnis erfolgten Rekonstruktion lässt mich ein klein wenig nachvollziehen, was meinen Freund in die Platte treibt, die Aussicht vom Dach natürlich auch.
Heute im Seminar haben wir uns durch ein Kapitel Canettis gequält. "In der Irrenanstalt" heißt es und berichtet vom Bruder Kiens, der zu seiner Berufung findet und am Schluss die Nachricht von seinem Bruder erhält, dass dieser verrückt sei. Als Irrenarzt, der seine "Kranken" am liebsten nicht heilen will, weil sie ihm so genial erscheinen, ist er kein guter Ansprechpartner für seinen Bruder, als Koryphäe auf seinem Gebiet und Bruder aber die letzte Instanz.
Nichts zum Stil, nichts zur Struktur. Nur Inhaltliches kommt zur Sprache. Die 1,5 Stunden sind schneller um, als ich Zappzarap sagen kann. Da wird vom Wittgensteinschen über Freud bis hin zu Musil, Döblin und Heym alles herangezogen, was nur im Entferntesten eine Meinung kundgetan hat in der Zeit. Bis in die hinterletzte Ecke wird herumbaldowert und am Ende fehlt die Zeit für einen Schlusssatz, weil die Zeit schon abgelaufen ist und die ersten und alle schon mit den Stühlen scharren. Das Geruschel von kopierten Texten nimmt Überhand. Kugelschreiberminen klicken und Reisverschlüsse werden auf- und zugezogen.
Da eröffnen sich plötzlich innerhalb des Seminars völlig neue Wege, da werden Parallelen an Stellen vermutet, wo andere nicht mal Stellen vermuten und auf ein unsichtbares Zeichen hin - denn eine Schulklingel gibt es ja nicht - ist alles zu Ende und das Plenum verzieht sich in Windeseile in alle Richtungen. Wenn das kein Seminar gewesen wäre, wäre es ein Flashmob.