Der alltägliche K(r)ampf
Mit zwei Uhren hat man, soweit sie ihre Zeit nicht über Funk beziehen, immer das Problem des Nichtgleichlaufens. Wir haben in unserer Küche sogar drei Uhren: eine Küchenuhr von Kienzle in furchtbar retrogrünem Fliesendekor, einen Uhr am Backofen und eine an der Küchenwaage. Alle drei laufen nicht gleich und zeigen unterschiedliche Minuten an, richten tu ich mich nach der Uhr von meinem Handy, das ich dafür ständig aus der Tasche ziehe und begutachte. Dann vergesse ich die Uhrzeit wieder, bzw. was ich eigentlich mit dem Handy tun wollte, und hole es erneut aus der Hosentasche. Das Spielchen kenne ich schon.
Ein neues Spiel hat jetzt Reno erfunden. Da kommt man als unbescholtener Schuhkäufer hin und - wenn man einmal ausgewachsen ist - kauft sich die Schuhe in der Größe, wie man sie immer kauft. Wenn derjenige Schuhe braucht, der noch keine feste Größe hat, wie unser Sohn zum Beispiel, dann wird es jetzt doppelt kompliziert: einerseits steht nämlich die Größe des Herstellers auf dem Karton und außerdem hat Reno selber nachgemessen und häufig ein anderes Ergebnis vorgelegt und daneben abgedruckt. So wechselten wir heute fröhlich Schuhgrößen aus, um nach kürzester Zeit festzustellen, dass unser Sohn eine Zwischengröße hat, irgendwo zwischen 20 und 21.
Mir war nach drei paar Schuhen alles egal, Farbe, Aussehen, Lederanteil. Hauptsache, die Schuhe passten. Wir probierten eine 20: ( Hersteller und Reno ) zu klein, eine 21: ( Hersteller, Reno sagte 20 ) zu klein, eine 21: ( Reno, Hersteller 20 ) zu groß, eine 21: ( Reno, Hersteller auch 21 ). Wir probierten die unterschiedlichsten Modelle an, nichts passte. Scheiße.
Mein Sohn hat einen See verschluckt. Unaufhörlich speist dieser nun die Quellen des Gesichtsgebirges, vor allem der Nasenberg scheint über reichliche Wasservorräte zu verfügen. Aber auch aus Mund und Augen läuft es abwechselnd. Verbunden ist das mit markigen Geräuschen, wie man sie nur in den Bergen hört. Ein Echo gibt es bereits. Meine Frau stimmt mit lautem Niesen und Husten in die Kakophonie des Jammers ein. Mein Zinken schlägt sich wacker, doch auch hier bilden sich schon erste Stalaktiten. Und das, wo doch endlich Frühling zu werden droht - bei schönstem Sonnenschein.
Vorgestern traf ich eine Arbeitskollegin wieder, die mit mir zusammen am Strand arbeitet. Sie war lange Zeit im Ausland, man sah es ihr an. Die Sonne muss dort unverschämt oft über das Land gezogen sein, so braun ist sie. Wir unterhielten uns kurz über dies und das, bis sie plötzlich sagte, dass das Wetter ja mal endlich umschlagen könnte, damit der Strand wieder aufmacht. Wie sie das so sagte, dachte ich im gleichen Moment, sie geht jetzt los, holt sich einen Schraubenschlüssel und zieht die letzten Muttern fest. Das hat sie fein hinbekommen, die Sonne scheint seit zwei Tagen tatsächlich ein bißchen wärmer. Ob ich mir das Werkzeug mal ausleihen darf? Vielleicht bekomme ich damit die gebrochenen Dämme zum Versiegen.
Als hätte man mir Scheuklappen angelegt, allerdings nicht an den Augen, sondern auf der Schulter. Eigentlich sind es auch gar keine Klappen. Es ist eher ein kompliziertes Gestänge, das schmerzhaft aus meinen Schultern ragt und meinen Kopf am Drehen hindert. Ja, so ist das.
Können Sie sich an Tyler Durden erinnern, als er endlich begriffen hatte, dass er er war. Er stand vor einem Kneipier mit genau so einem Gestänge um den Kopf herum und dieser öffnete ihm dann die Augen, indem er ihn mit seinem Namen anredete. Mir öffnet niemand die Augen, das kriege ich noch allein hin. Ich kann nur nicht mehr nach links und rechts gucken. Außer vielleicht, wenn ich einen merkwürdigen Pinguintanz aufführe. Dafür muss ich aufstehen, wenn ich säße, und meinen ganzen Körper in die jeweilige Richtung drehen.
Wenn ich jedoch auf der Straße ginge und mich riefe jemand aus einem fahrenden Auto heraus, dann wäre entweder die Straße verstopft, weil der Rufer auf meine grüßende Erwiderung warten würde oder der Rufer aus dem Auto wäre längst vorüber gefahren. 3 Straßen weiter, womöglich schon in einer anderen Stadt. Hoffentlich wartet niemand darauf von mir zurückgegrüßt zu werden. Nachher steht am nächsten Tag in der Zeitung: Umständliche Begrüßung löst zweistündigen Stau aus. Oder im Radio: Bitte umfahren sie möglichst weiträumig die Straße XY, hier wird gerade zurückgegrüßt.
Vorhin saß ich dann wieder. In einer Arztpraxis. Ich bin also gerade keine Verkehrsbehinderung. Ich bin nur eine Behinderung der Routine des Praxisalltages, weil ich mich hier eingeschlichen habe. Mein Orthopäde ist im Urlaub und ich erdreistete mir, während seiner Abwesenheit einen steifen Hals zu bekommen. Jetzt sitze ich in einem mir unbekannten Wartesaal und hoffe behandelt zu werden.
Die Steckdosen und Lichtschalter in dem Warteraum sind alle schief eingebaut. Vielleicht ist auch der Fußboden schief, oder die Tür oder alles ist gerade und ich bin schief. So wird es wohl sein. Es sind zwei Stunden vergangen seitdem. Nach einer Stunde wurde ich bereits erlöst. Ich durfte meine Praxisgebühr entrichten, ein untrügliches Zeichen, dass man bis zum Arzt vordringen wird. Ich durfte meine Allergien, meine Telefonnummern und meine Namen auf ein halbes Blatt Papier schreiben und wieder Platz nehmen. So ein Glück. Ich habe einen Termin bekommen, an einem Dienstagvormittag! bei vollem Wartezimmer.
Um 11:85 Uhr bin ich dran. Viertel vor Hundert.
Ich bin jetzt wieder im Büro und schreibe das hier gerade auf. Zwischenzeitlich war ich bei einer sehr charmanten Ärztin, die mich zwei Jahre jünger machte und mir riet, mehr Sport zu treiben. Dann häkelte sie die bleiverschwerte Gardine auf, füllte die Kügelchen in eine Spritze und trieb mir je drei von den schweren Dingern in den rechten und linken Nacken. Eine besonders große Beschwerung bekam ich noch in den linksseitigen Allerwertesten. Zuerst dachte ich, das ist ja gar nicht so schlimm aber als ich die Praxis verließ merkte ich plötzlich, dass das Blei im Nacken zu wirken begann und mich langsam in Richtung Boden drückte. Vielleicht war es aber auch der Luftdruck, es hatte geregnet in der Zwischenzeit.
Jetzt ist alles wieder völlig normal, bis auf ein paar verschmerzbare Schmerzen in der Nackengegend. Meine Arme, in die kurzzeitig das Blei gerutscht war, lassen sich jetzt auch wieder normal bewegen. Nur, ob ich Auto fahren darf, hat mir die Ärztin nicht gesagt. Macht aber nichts, ich habe keins.
Wenn das Leben eine Kurve vorgesehen hat, setzt es keinen Blinker. Für alle Beteiligten - und manchmal sogar für scheinbar Unbeteiligte - kommt so etwas immer überraschend.
Als ich heute Morgen meinen Kaffee geleert hatte und das Haus verließ, um das im Hinterhof stehende Rad abzuschließen, geriet ich unfreiwillig in die Kurve eines Lebens. Anklagend laut vernahm ich die Rufe einer Katze, die zwischen einem gekippten Fenster steckte und mich mit Augen ansah, die nur noch aus Pupillen zu bestehen schienen. Die Katze kennt mich vom Sehen. Aber das half nicht, wie verrückt spukte sie plötzlich herum als ahne sie Böses, ich dagegen war noch eher interessiert als panisch. Ich kam nicht an Puma heran - so heißt die Katze, weil sie bis auf die weißen Pfoten von vornehmem Grau gekleidet ist - ich hörte auf näher zu kommen, um ihr Leid zu ersparen.
Nun verhält es sich allerdings so, dass ich einen Wohnungsschlüssel besitze, da ich die Katzen vor nicht allzu langer Zeit einmal mehrere Tage gefüttert hatte. Den Schlüssel hatten wir behalten können, weil Birgit, unsere Nachbarin, bald ausziehen wird und dem Vermieter die dazugehörigen Haustürschlüssel nicht übergeben wollte, da sie diese auf eigene Rechnung angefertigt hatte. Ich habe jedoch keine Telefonnummer von Birgit und sie ist bereits mehr in ihrem neuen Zuhause, eine Stadt nicht unbedingt um die Ecke, als hier. Ihr Sohn kümmert sich sonst um die Katzen.
Ich rannte wieder nach oben, holte den Schlüssel und ging, nachdem ich mehrere Male geklingelt hatte in die Wohnung. Die beiden anderen Katzen warteten bereits auf mich. Auch von drinnen bot sich mir ein jammervolles Bild. Es gab keine Möglichkeit, die Katze zu befreien. Sie steckte auf der grifflosen Fensterseite fest, selbst ein komplettes Öffnen hätte ihr wahrscheinlich nur mehr Schmerzen bereitet. Ich suchte das Telefon und ging das Telefonbuch durch, bei A beginnend. Bei D endlich ein Treffer. Eine verschlafene Stimme rückte die Handynummer meiner Nachbarin heraus. Sie geht ans Telefon beim dritten Klingeln. Ich ging das Alphabet jetzt rückwärts an, aus Sorge wurde Panik. Birgit war völlig aufgelöst, ich bestellte den Notruf.
Kurze Zeit später - ich stand mit dem Telefon im Hausflur und beantwortete die Rückrufe der Leute, die ich zuvor nicht erreicht hatte - kam Birgits Sohn um die Ecke. Bastian heißt er, ich hatte ihn zwar ebenfalls angerufen aber nicht erreicht. Sie schon und er musste gerannt sein. Die Katze kennt ihn besser. Sie behielt die Ruhe und wir befreiten die Katze aus ihrem Gefängnis - ich von drinnen an den Hinterbeinen und er von draußen. Ich bestellte den Notruf wieder ab. Weil ich zufällig gerade über ein Auto verfüge, fuhr ich ihn zum Tierarzt, die Panik ebbte zur Ruhelosigkeit ab und während ich draufloszitterte und das Schnatterinchen machte - also ohne Unterlass erzählte - hatte sich mein Beifahrer nebst Katze schon wieder vollends unter Kontrolle.
Als das Auto leer war und die beiden beim Tierarzt waren, fuhr ich ein kleines Stück, kaufte mir einen Kaffee und versuchte mich irgendwie zu sammeln. Da war sie also, die Kurve. Der schnell geschlagene Haken, der dich auf eingeschlagenen Wegen zurückpfeift, als wärst du ein Bumerang. Ich holte mein Fahrrad nicht mehr vom Hof, ich stellte das Auto ab, ging zur Straßenbahn und fuhr zu meinem Arbeitgeber.
Der öffentliche Dienst hatte heute zum empfindlichen Schlag gegen die Arbeitgeber ausgeholt und unter anderem den Verkehr in ganz Hannover lahmgelegt. Den ganzen Verkehr? Nein, eine kleine Schar widerspenstiger Unternehmer versuchte aus dem Zusammenbruch des öffentlichen Nahverkehrs Kapital zu schlagen. Die Deutsche Bahn als Großbediener von Nahverkehrsinteressen lasse ich einmal außen vor, die haben auf anderem Gebiet hervorragend auf die Situation reagiert.
Ich schnappte mir also heute Morgen gegen Viertel vor 9 mein Fahrrad und reiste gegen 9 am Hauptbahnhof an, wo ich hoffentlich meine S-Bahn nach Langenhagen erreichen würde. Auf dem Bahnhofsvorplatz bot sich mir ein Bild wie aus tiefsten DDR-Tagen: die Leute standen an, und es gab nichts, wofür man anstehen konnte. Zu DDR-Zeiten standen die Leute nicht wegen Nichts an, aber häufig klärte sich erst nach längerem Stehen, weshalb die Leute eigentlich anstanden, der Platz in der Schlange war wichtiger als die Ware, die dabei herausspringen sollte. Hier in Hannover lag es etwas anders. Die Leute wußten sehr wohl, weshalb sich hier eine Schlange bildete, nur war niemand in Sicht, der die Schlange kürzer machen konnte. Es waren keine Taxis weit und breit zu sehen, die waren alle unterwegs.
Die Haltestellen um den Bahnhof waren allesamt verwaist, man wich entweder auf das eigene Auto, auf die eigenen Füße oder auf die Deutsche Bahn aus. Ab 9 Uhr kann man in der Deutschen Bahn, so lange man sich innerhalb der Grenzen des Umkreises Hannover bewegt, sogar das Fahrrad kostenlos mitnehmen, sofern es der Ansturm an Fahrgästen gestattet. Da ich nicht genau abschätzen konnte, wie weit es vom S-Bahnhof bis zu meinem Bestimmungsort sein würde, nahm ich das Fahrrad einfach mit in die Bahn. Die Menge an Gleichgesinnte war überschaubar, Cebit-Reisende haben selten ein Fahrrad dabei und fahren außerdem in die andere Richtung. Insgesamt muss ich sagen, hatte mich der "ruhende" Verkehr der Öffis nicht einmal leicht behindert. Schade, eine kleine Auszeit vom "Alltag" hätte ich mir durchaus gewünscht.
Die Deutsche Bahn selbst hat, wie ich finde, auf die geänderten Anforderungen der Reisenden und insbesondere der Streikenden prompt reagiert. Das äußerte sich dann in den Durchsagen: "Willkommen in der S-Bahn der Linie 5 nach Hannover Flughafen. Der nächste Halt ist Hannover Nordstadt. Umsteigemöglich...", dann brach die Verbindung ab - was sollte auch berichtet werden - und es folgte nach längerer Pause nur noch das obligatorische: "...Ausstieg in Fahrtrichtung links."
Für die kommende Woche habe ich gleich drei Termine, an denen ich selbst unterrichten darf, zwei 9. Klassen, eine davon in Geschichte und Deutsch, die andere nur in Geschichte. Als Schüler kam mir jedes Thema langweilig vor, so dass eine Auswahl nicht unbedingt schwerfiel. Ich ging einfach nicht hin, und das so oft wie möglich. Als Lehrer allerdings gibt es - das habe ich recht schnell begriffen - Lieblingsthemen und Scheißthemen. Ich habe zweimal ein gutes Thema erwischt und einmal ein Scheißthema.
John Tenniel, Karikaturist und Illustrator, hat eine der berühmtesten Zeichnungen erschaffen, nämlich den Lotsen, der von Bord geht. Bismarcks vorletzter Abtritt, danach war er sowas wie Helmut Schmidt heute, naja mit anderer politischer Ausrichtung. Darüber darf ich was machen. Sehr schön, denn darüber habe ich am Anfang meines Studiums eine Hausarbeit geschrieben, da fällt mir genug zu ein, ein paar bunte Bilder, vielleicht eine Art Memory, ganz toll. Das zweite Thema liegt mir sowieso, es geht um Kurzgeschichten. Ich mache natürlich nicht den Scheiß, der im Lehrbuch steht, der hat mich bis auf wenige Ausnahmen in meiner Schulzeit schon nicht interessiert, obwohl ich alles, was in meinem Lehrbuch stand, mehrere Male gelesen hatte. Ich habe mir zwei eigene Geschichten gesucht, will die Schüler mitnehmen auf zwei völlig unterschiedliche Bearbeitungen des gleichen Themas und sie sozusagen aus der Reserve locken, habe da ein paar tolle Ideen zu, der Lehrer findet's auch Klasse.
Nur das dritte Thema, scheinbar das leichteste von den dreien, das liegt mir quer. Es ist nichts weiter als ein Schema, ein paar Kärtchen, ein paar Fragen und dann ist die Stunde auch schon rum. Doch genau das will ich nicht. Ich will die Verfassung der Weimarer Republik nicht nach einer 0815-Stunde abhandeln. Ich will das nicht so unterrichten, dass spätestens zum nächsten Tag alles vergessen ist. Das kenne ich noch zur Genüge, bin ja selber gerade dabei mir den Kram anzueignen, weil es weder der Unterricht in der Schule - als Entschuldigung könnte ich hier noch anbringen, dass das bereits 18 Jahre her ist - noch die Seminare in der Uni es geschafft haben, mir diesen Trockenstoff mit einem Mindestmaß an Eigeninteresse beizubringen, so dass tatsächlich was hängen bleibt.
Ist es zuviel verlangt, für jedes Thema eine richtig gute Lösung haben zu wollen? Ist es notwendig, manchmal einfach Schema F herauszuholen? Muss das unbedingt in der Klasse sein, deren Lehrer auch noch Seminarleiter ist und gewohnheitsmäßig Referendare betreut? Ist Pech eine Zahl zwischen 1 und 3 bei drei Pflichtversuchen?
Eine kleine Panik schleicht mir den Rücken herunter, wenn ich daran denke, was mir in den folgenden Tagen noch bevorsteht. Ich habe um eine Fristverlängerung meiner Hausarbeiten gebeten und hoch und heilig versprochen, diese am Montag der kommenden Woche gestriegelt und geputzt abzugeben. Gedanklich habe ich bis auf den Feinschliff schon alles fertig aber irgendwie sitze ich einfach zu selten herum, um mir ernsthaft darüber Gedanken zu machen.
Glücklicherweise bin ich das kommende Wochenende Strohwitwer und kann dann ein paar Tag- und Nachtschichten einführen, um dem entronnenen Zeitplan wieder auf die Spur zu kommen. Die heilige Prokrastination, eine Glaubensrichtung der ich mich als Student verpflichtet fühle, zwingt einen aber auch immer zu kurzen katharsisgleichen Ausnahmezuständen am Ende der Semester.
edit: In einem Anfall von Arbeitswut habe ich gerade meinen Schatten übersprungen und bereits die vermeintlich schwerere Aufgabe bis auf zwei kleine Folien komplett gelöst. Eine Verabredung für heute Abend hat plötzlich ungeahnte Energien freigesetzt.
Zurück. Seit gestern am frühen Nachmittag bin ich wieder zu Hause. Der Urlaub war sehr schön und wird an ein oder anderer Stelle noch gewürdigt, für heute hat mich aber sogleich die Arbeitswelt gepackt und hält mich jetzt schon seit einigen Stunden hier gefangen. Meinen Kredit bei meinem Arbeitgeber abarbeitend ( mein Minusstundenkontingent ist beachtlich und lässt mich alle Hoffnung verlieren, da hilft es auch nicht, jeden Tag ein wenig mehr zu tun, um die
Tischplatte von allen Zetteln zu befreien ) sitze ich also im Büro und schufte mich durch den Tag.
Gestern schon bekam ich die ersten Impressionen geliefert, weshalb ich mich unbedingt in Deutschland befinden müsse und nicht noch in einem finsteren Traum gefangen bin. Das ging bereits los am Frankfurter Flughafen, wo nicht nur das Gepäck fein geordnet und an streng dafür ausgesuchte unterschiedliche Bänder in Empfang zu nehmen war ( der Kinderwagen gilt nämlich selbst in zusammengeklapptem Zustand als Sperrgepäck, und um dies abzuholen, muss man fast bis zur Passkontrolle zurück; ein äußerst blöder Umstand, wenn die eigentliche Gepäckausgabe am letzten Band der Halle in Sichtweite des Ausgangs liegt ). Darüberhinaus begrüßten uns Klappbetten mit provisorischen Bezügen, es wird nämlich gestreikt in Frankfurt. Die Vorbereitungen finde ich äußerst löblich, ein Streik unterliegt nur hier in Deutschland generalstabsmäßiger Planung, der hoffentlich zu keinerlei Beeinträchtigung führen darf, vor allem nicht im Flugverkehr. Das erinnerte mich auch gleich an die letzte Besetzung des großen Unihörsaals durch Studenten, die unter Ankündigung beim Präsidenten erfolgte in Abstimmung mit den Lehrenden, so dass auch ja keine dort angesetzte Lehrveranstaltung entfallen musste.
Noch am Flughafen machte ich Bekanntschaft mit einem zweiten großen Arbeitgeber neben dem Fraport, der Deutschen Bahn. Die Fahrkartenautomaten waren teilweise etwas verwirrend, so dass wir eine Weile diskutierten, ob wir denn am richtigen Automaten stehen oder ob es einen weiteren für die Fernreisen gäbe, denn der, wo wir waren lieferte scheinbar nur Regionaltickets. Ein kleiner Klick belehrte uns eines besseren, es funktionierte dann doch. Hinzu trat dann aber eine Dame in DB-Uniform, die uns fragte, wohin wir denn wollten. Nach Hannover war die Antwort, ihre Antwort darauf: "Na fahren Sie doch zuerst zum Frankfurter Hauptbahnhof und kaufen sich dann da die Tickets". Einen älteren Herrn, der offensichtlich komplett überfordert mit den Automaten war, ließ sie dann ebenfalls gekonnt abblitzen: "Nein, an den Automaten darf ich nichts machen, ich darf nur hier stehen und Sie beraten." Es erbarmte sich dann jemand anderes, dem Mann zu seinem Ticket zu verhelfen.
Endlich im Zug sitzend ( eine kleine Reise für sich, denn wenn es schnell gehen muss, muss man nicht an den nahegelegenen, sondern an den am weitesten entfernten Bahnsteig rennen, mit einem 20 Kg Rucksack auf dem Rücken und einem Baby auf dem Arm, das schnatternd in die Runde guckt, die im steten Auf und Ab an einem vorbeizieht ) erfuhren wir, dass wir in Fulda eine Stunde Aufenthalt haben würden. Wir fragten bei nächstbester Gelegenheit die Schaffnerin, weshalb man denn den Anschlusszug nicht bekommen könnte, worauf sie uns sagte, dass der Zug, den wir dafür bekommen müssten zeitgleich am Frankfurter Hauptbahnhof losfährt und genau dann den Bahnhof Fulda verlässt, wenn unser Zug einläuft. Ob sich dieser nicht zufällig ein paar Minuten verspäte, fragten wir. Nach langem Wischen und Starren auf ein Smartphone ( seit neuestem haben
alle solche Dinger ) kam dann die Antwort: "Ja, der kommt tatsächlich manchmal zu spät, diesmal aber nicht." Der ehrlichen Antwort wegen, konnte ich ihr bis dahin aber nicht einmal böse sein. Sprachlos machte mich dann erst ihr weiterer Kommentar, indem sie mir erläuterte, dass es sich bei dem Zug aus Frankfurt ja gar nicht um einen Anschlusszug handele, man den also regulär gar nicht bekommen kann. Der Anschlusszug für unsere Verbindung kommt immer erst eine Stunde später, das wäre eben so. Ich bin also zurück.
edit: Meine Freundin erinnerte sich an den genauen Wortlaut der DB-Dame am Flughafen ein bißchen anders: "Nach Hannover wollen Sie? Na dann fahren Sie doch erst zum Frankfurter Hauptbahnhof, wenn Sie hier nicht klarkommen und kaufen Sie dort die Tickets!"
Montag bin ich immer in der Metro einkaufen. Früher war ich dort immer dienstags Vormittag, doch der Uni wegen musste ich leider mit dieser unbequemen Zeit vorliebnehmen. Zu dieser Zeit treiben sich allerhand Gewerbetreibende dort herum, die ihre Weihnachtseinkäufe mit den Einkäufen für Kiosk, Restaurant oder Irgendwas kombinieren wollen und natürlich ihre Frau dabei haben. Da ergeben sich dann durchaus komische Momente:
"Einen kleinen Augenblick noch, bitte", die Frau lächelt mir gewinnend zu, weiß sie doch, dass ihr Mann, vorsorglich Abstand haltend, in nullkommanichts wieder ran ist, sollte ich die Frechheit besitzen, den von ihr in Beschlag genommenen Verkäufer mit meiner nichtigen Frage zu behelligen. Ich bin geduldig.
"Wo sind eigentlich die iPods", fragt sie den netten Verkäufer.
"Welches brauchen Sie denn?", eine blöde Frage, wo doch sofort jeder weiß, dass diese Frage nicht nur eine Frau, sondern höchstwahrscheinlich 70% aller Menschen überfordern würde, der nicht gerade regelmäßig im Applestore nebenan sein Equipment kauft.
"Ich brauche kein iPod, ich will mir nur eins aussuchen", den Satz murmele ich dann vor mich hin und kriege das Grinsen nicht aus dem Gesicht gewaschen. Der Mann in der Reihe nebenan dreht sich um und marschiert teilnahmslos zu den Laptops, während der Verkäufer die Frau nach hinten in die Telefonecke dirigiert und mir dann kurz meine Frage nach dem Ort für die Taschenrechneraufbewahrung beantwortet.
Ich stehe noch kichernd auf der Rolltreppe nach unten, als mir einfällt, dass ich eigentlich noch eine Spitze für den Weihnachtsbaum brauche. Also gehe ich kurz rüber zum Kugelwust und versuche ein solches Stück zu ergattern. Dort steht ein weiteres Paar Abendeinkäufer vor den roten Kugeln.
"Hatten wir nicht die kleinen Kugeln?" fragt der Mann gerade und schaut dabei in die andere Richtung.
"Nein, wir haben die ganz großen roten. Das weiß ich genau", nimmt dabei drei Packungen großer roter Kugeln aus dem Regal und verstaut sie im Einkaufswagen.
"Achja", der Mann ist ganz woanders. Ich sehe die Preise und denke, dass ich wohl besser woanders eine Spitze für den Baum kaufen kann.
"Hm..., eigentlich wollte ich doch noch eine Alternativfarbe", spricht die Frau, mehr zu sich selbst. Wahrscheinlich für den Baum im Wintergarten oder den im Kinderzimmer?
Seit ich mein Fahrrad vermisse, habe ich nur Pech mit den Fahrrädern. Mein liebstes wurde ja vor meiner Haustür entwendet, davon schrieb ich
schon. Wir haben den Keller voller Fahrräder, da die aber alle soweit unten stehen, habe ich in letzter Zeit das Rad meiner Frau benutzt, das steht hier sonst nur rum. Als ich am Dienstag aus der Uni kam und es loseisen wollte, weigerte es sich kurz aber heftig und erbrach mir den Schlüssel im Schloss. Ich war nicht fertig mit der Uni an dem Tag, sondern musste noch woanders hinfahren - dann eher laufen - um dort eine Vorlesung zu besuchen. Ich kam pünktlich, trotz meiner Bemühungen das Schlüsselstück aus dem Schloss zu bekommen.
Am Mittwoch hatte ich dann ein neues Rad, ein richtig neues Rad, bei dem nur die Luft fehlte. Ich hatte es am Wochenende aufgebaut, meine Frau schenkte es mir zwei Wochen zuvor. Ich brauchte einen ganzen Tag für den Aufbau, in der Anleitung stand, es ginge in einer halben Stunde. Naja, ich fand keine Luftpumpe und so stand es dann aufgebaut, unaufgepumpt und angeschlossen im Hof, bis zu diesem Mittwoch, als ich mir von meinem Fahrradmonteur, der eine Straße weiter seine Werkstatt hat und zufällig zugegen war, eine Pumpe lieh und das Fahrrad flott machte. So flott war es leider nicht, ich musste sogar beim Bergabfahren treten, um nicht stehen zu bleiben. Die Räder eierten, der Rahmen vibrierte, kurz: Fahrradmonteur ist keine meiner Stärken.
Am folgenden Tag brachte ich auch das mit Hilfe des wirklichen Fahrradmonteurs in Ordnung, fuhr wie jeden Donnerstag zur Arbeit und verbrachte den Tag mit Gedanken zur Genderproblematik und ihre Auswirkungen in der quantitativen Linguistik, ich stellte mir vor, dass in Zeitungs-, Gesetzes- und anderen offiziellen Texten, in denen seit den frühen 80ern mehr oder weniger erfolgreich gegendert wird, ein signifikanter Anstieg der Buchstaben "i" und "n" zu messen sein müsste. Ich verwarf den Gedanken aber wieder, denn es wurde Feierabend und auf dem Fahrrad denke ich grundsätzlich nicht.
Ich hatte noch ein wenig Zeit zum Denken, denn meinem neuen Fahrrad ging es nicht so gut, es hatte hinten keine Luft mehr drauf. Bei genauer Inspektion des Ventils musste ich feststellen, dass der Ring, der das Ventil im 90° Winkel aus dem Rahmen stehen lassen soll, nur noch zur Hälfte dran war und das Ventil stand in ca. 45° Winkel ab. Dort war höchstwahrscheinlich die Luft entwichen, die mir jetzt Zeit zum Überlegen brachte.
Gestern, als Fußgänger ist mir und meinen Rädern nichts passiert, zumindest war ich nicht dabei und es interessierte mich auch nicht. Dafür aber ging ich heute durch Zufall eine Straße entlang, zu dessen eine Seite Garagen und zur anderen Seite ein recht großer Gebäudekomplex liegt, die ehemalige Bettfedernfabrik. Dort stand, lag fast, mein geklautes Rad. Es war noch immer angeschlossen, ein Bowdenzug ist wahrscheinlich hin und der Rost, an dem ich sonst vorbeizufliegen pflegte, sank in kleinen Rieseln auf bewegliche Teile - immerhin muss es dort für fast zwei Monate gelegen haben. Ich schloss es ab, den Schlüssel verwahrte ich trotz des eigentlich längst abgeschriebenen Schlosses am Schlüsselbund, brachte es nach Hause und da steht es nun, neben all den anderen Rädern und den Rädern im Keller.