Der alltägliche K(r)ampf
Morgens zu duschen ist eine verquere Angelegenheit, verquer, weil dieses Ritual den Zweck zu haben scheint, den Dreck des Schlafes abzuwaschen. Angelegenheit, weil es nicht ohne einen selbst stattfinden kann: es geht eben etwas an. Morgens aus dem Bett zu steigen, die Dusche zu suchen, frische Klamotten daneben legen, den Wasserhahn anstellen, warten bis es warm wird.
Halt, was ist das jetzt schon wieder? Da kriecht dir ein eiskalter Strahl ins Gesicht, obwohl du noch gar nicht unter der Dusche stehst. Ins Auge womöglich und dir wird bewusst, welcher Teil der Dusche beim Saubermachen ausgelassen wurde. Die zugekalkten Löcher der Dusche, die sich wie deine eigenen Augen um sechs Uhr morgens nur mühsam öffnen und quer gucken, statt ihrer gerichteten Tätigkeit nachzugehen, sie schießen ins Bad, ins Kraut, Tropfen herab, rieseln herunter und quälen mit Eiseskälte. Der Arm geht nur langsam zum Brausekopf, dreht ihn.
Besser jetzt. Ich steige unter die Dusche, verrichte allerlei Dinge dort und komme wieder hervor, triefend nass und immer noch nicht wach. Das Handtuch trocknet, die Wäsche wärmt hoffentlich gleich. Die Socken – im Stehen angezogen – erinnern mich daran, dass ich nachzulassen scheine. Der geöffnete Sockenkopf, von gespreizten Fingern offen gehalten, zieht sich nicht mehr von selbst über den Fuß. Das angezogene Knie hoffte in seiner morgendlichen Schwäche auf Hilfe von den unbenutzten Fingern der Hände, die – einerseits den Strumpf offen halten und andererseits an den Zehen zu ziehen beginnen, um die Entfernung zwischen Sockenkopf und Zeh zu reduzieren. Das Knie bekommt diese Hilfe ein ums andere Mal, verstolpert und versteinert steig ich in die Socken, die Hose folgt.
Erhebung, kein erhebendes Gefühl beschleicht einen, wenn die Senkrechte gewonnen wird, ein Blick in den Spiegel und raus aus dem Bad, ein viel zu heller Ort; für jede Zeit.
Als ich vor geraumer Zeit einen neuen PC bekam, hatte dies vor allem Gründe die Lautstärke des Alten betreffend. Der hatte nämlich die unangenehme Angewohnheit, laut vor sich hin zu brummen, wenn er angeschaltet wurde. Als eines Tages dann ein zweites Brummen hinzu kam, ein tieferes und dringlicheres als das Erste, bekam ich es zum ersten Mal mit der Angst zu tun, machte ein Backup von all meinen wichtigen Dateien und sinnierte darüber, meinen Zweit-PC, der unter dem Schreibtisch stand, wieder flott zu machen. Mein Zweit-PC war auch laut, aber er brummte kontinuierlich in einer längst vergangenen Sprache, die keine Höhen und Tiefen kannte.
Nun begab es sich aber, dass mein damaliger Erst-PC trotz der Brummmacke keinerlei Anstalten machte, die Hufe zu heben, sondern nur fröhlich vor sich hin brummte. Und als ich dann ein paar Tage später - aus schlichtem Platzmangel - ein paar Bücher darauf abstellte, hörte plötzlich das Zweitbrummen meines Erst-PCs wieder auf. Die Maßnahme, meinen Zweit-PC wieder flott zu bekommen, scheiterte nebenbei auch kläglich daran, dass es mir nicht möglich war, eine neue Version von Mozilla-Firefox zu installieren. Da gab es irgendwelche Programme im Hintergrund, die ich aus lauter Bosheit schon so lange nicht mehr aktualisiert hatte, dass selbst so schnöde Dinge wie ein Browser nicht mehr zum Laufen gebracht werden konnten.
Vor nicht genau einem halben Jahr, bekam ich dann einen neuen PC, mein vormaliger Erst-PC wurde Zweit-PC, mein Zweit-PC Dritt-PC und beide Modelle wanderten unter meinen Schreibtisch. Der neue Dritt-PC steht auf dem ehemaligen Zweit-PC, um ihm - im Falle des Gebrauchs - vom Brummen abzuhalten. Mein neuer Erst-PC brummt nur ganz leise. Eine Wohltat. Volle Geschwindigkeit bei minimaler Geräuschkulisse.
Und heute? Ich sitze hier gerade und überlege mir, wie ich diesen Blog mit unnützen Informationen füttern kann, da ertönt plötzlich ein Brummen neben mir. Mein fast neuer Erst-PC erhebt sein Lüfterrad und untergräbt meine dem Bloggen gewidmete Aufmerksamkeit. Ich nehme die CD aus dem Laufwerk und denke, damit hat es sich wohl. Hat es sich nicht. Ich parke einen PC-Speaker auf ihm. Reicht auch nicht. Ich drücke ganz leicht das Gehäuse nach unten. Es hilft. Das Brummen ist weg. Es dröhnt jetzt nur noch von Gegenüber auf der Straße, wo ein Presslufthammer die Fassade eines Hauses malträtiert, das hatte ich bis eben aber gar nicht gehört.
Es hätte eine Reise in die Vergangenheit sein sollen. Was mir zu Beginn der Reise allerdings nicht klar war, wessen Vergangenheit hier bereist werden würde. Uns, meine Frau, unser Sohn und ich, verschlug es nach Blankenburg. Kennen Sie nicht? Kennen viele nicht. Es liegt zwischen Wernigerode und Quedlinburg, hat kein Welterbe zu bieten wie Quedlinburg oder eine Rennstrecke wie Oschersleben und eben auch keinen Dom wie Halberstadt oder ein Schloss wie Wernigerode. Kein Schloss? Doch Blankenburg hat ein Schloss aber dazu später mehr.
Blankenburg ist von den wenigen Erinnerungen, die ich an mein Leben vor dem 5. Lebensjahr habe, eine der einprägsamsten gewesen. Nicht nur, weil sie fast jährlich wieder aufgefrischt wurde, so lange wie die DDR Bestand hatte, sondern vor allem auch wegen meines eigenen fortschreitenden Alters. Es ist nämlich so, dass die Erinnerungen der frühen Kindheit mit dem Alter wieder in den Vordergrund rücken. Häufig stellt sich dazu eine gewisse, sagen wir mal Verklärung ein, die sowohl die schlechten Erinnerungen ihr Gutes abzugewinnen vermag als den guten das Phänomenale. Wenn ich also mit gerade einmal kurz über 30 Jahre – jaja es ist schon ein wenig länger über 30 geworden – zurückblicke auf meine Kindheit und mit unserem Sohn nach Blankenburg in den Urlaub fahre, dann wäre es ja gelacht, wenn mir nicht genau diese Erinnerungen in den Sinn kommen sollten.
Wir wohnten in der Kreuzstraße in einer alten Backsteinvilla, aus deren geöffneten Kellerfenstern ein so kalter Lufthauch wehte, dass mir trotz 30° im Schatten ein wenig fröstelte, als ich vorüber ging. In unserer Ferienwohnung, direkt über dem Keller gelegen, war es ebenfalls angenehm kühl. Die hohen Decken waren heruntergenommen und durch Styroporplatten und Kaltlichtneonröhren eingestimmt auf einen längst vergessenen Zweck. Das Türschild unseres Vermieters klärte später darüber auf, denn vor dem Nachnamen prangte kein Vorname, sondern ein Dr. Die Ferienwohnung, einstmals die Praxisräume des heutigen Rentners, bestand aus zwei solcher Räume, von denen wir einen als Schlafzimmer bewohnten, der zweite war, weil wir ihn nicht benutzen sollten und wollten, abgesperrt. Die übrigen Räume hatten eine „normale“ Deckenhöhe von ca. 3,30 m und bestanden aus einem geräumigen Wohnzimmer mit offener Küche und zwei Nassräumen: ein Duschraum und eine Toilette. Das Haus wurde von einem ansehnlichen Grundstück umschlossen, auf dem noch ein Ferienhaus stand. Dazwischen wuchsen Obstbäume auf Wiesen. Stachelige Hecken säumten schmale Beete, auf denen Rosen rankten, dazwischen allerlei Kitsch. Ein riesengroßes funktionsuntüchtiges Thermometer stand herum, auf einem blanken Stück Erde stand ein marmorner Brunnen mit gelblich grüner Flüssigkeit und drei darauf schwimmenden bunten Stumpenkerzen darin. Ein Wasserbassin mit frisch aufgefülltem Wasser krönte die einladende Stimmung und wurde uns bereits kurz nach unserer Ankunft wärmstens empfohlen. Das Wasser war eiskalt.
Den Doktor bekamen wir bis zur Abreise übrigens gar nicht zu Gesicht. Seine Frau übernahm die Formalitäten. Sie führte uns reichlich wortkarg herum, deutete auf das Bassin, lud uns ein, es zu benutzen, empfahl uns noch das „neue“ Biobad am Fuß der Straße – auch dazu später mehr. Alles in allem war es ein gemischt guter Einstand. Was gingen uns unsere Vermieter an? Wer waren wir, dass wir über das uns entgegengebrachte Misstrauen urteilen konnten? Nicht einmal meine Erwähnung, dass ich bereits vor 30 Jahren in Blankenburg Urlaub gemacht hatte, ließ ihre Reserviertheit bröckeln. Wir waren einfach eine junge Familie aus Hannover und sind durch Zufall ihrem Domizil verfallen. Ihr war es schlichtweg egal, was wir hier wollten, denn viel konnte es ja nicht sein – auch dazu mehr später.
Als am Tag unserer Abreise der Doktor erschien, reichte er uns jovial die Hand, die nur von unserem Sohn ausgeschlagen wurde. Er hat es noch nicht so mit alten Ritualen. Er sprach dabei keinen Ton, blickte uns nur taxierend mit seinen kleinen spitzen Augen an, als fröne er an uns seiner alten Gewohnheit, der Diagnose.
Das letzte, an was ich mich bewusst erinnerte, war ein Strumpf, den ich offensichtlich verloren hatte. Ich bemerkte dies nur, weil mir der Fuß aus der Decke gerutscht war und es zugig wurde, nicht unangenehm. Dann ging plötzlich ohrenbetäubender Lärm los, der sich wellenartig im ganzen Raum verteilte. Ich war sofort wieder hellwach, konnte aber vor lauter Müdigkeit die Augen nicht öffnen. So stolperte ich blinzelnd, meist mit geschlossenen Augen durch die Wohnung. Auf der Suche nach der Quelle.
Ich hatte natürlich meine Nachbarn in Verdacht und am ehesten hört man, von wo die Musik kommt – also entweder von oben oder von unten – wenn man sich in die Küche begibt. Ich hangelte mich die Wand entlang, als die Musik auch schon nachließ und durch andere Musik ersetzt wurde. Hm, dachte ich, dann ist die Quelle irgendwo direkt über dem Wohnzimmer, wo ich mich zum Schlafen hingelegt hatte. Die Musik hatte mittlerweile auch dort nachgelassen.
Ich ging wieder zurück, immer noch mit geschlossenen Augen. Von dort aus ging ich zur Haustür, trabte langsam die Treppe nach unten, aber als ich dort klingelte, machte niemand auf. Das gleiche passierte mir oben. Ich dachte an einen total fiesen Radiowecker, der auf Heavy Metal spezialisiert war.
Ich ging wieder zurück in unsere Wohnung und legte mich erneut hin. Die Musik war wieder sehr leise geworden. Ich schien sofort einzuschlafen und träumte von einer Partie Siedler auf meinem Rechner. Ich hatte gleich zwei Stämme und spielte über den guten alten Splitscreen und durch eine grandiose neue Erfindung, die meine Siedler gerade gemacht hatten, durfte ich plötzlich ein Konferenzhaus bauen. Das war die Vorstufe für eine Botschaft, also irgendwas Diplomatisches. Mir kam das alles sehr spanisch vor, weil ich doch meine Gegner durch Angreifen und Hütten erobern besiegen sollte und nicht durch Diplomatie.
Und dann war sie wieder da. Die Musik. So laut, dass ich sofort aufrecht im Bett saß. Ich konnte immer noch nicht gucken und ließ das auch vorerst bleiben. Ich legte mich wieder hin und dämmerte trotz des Krachs wieder kurz weg, bis die erste lautere Welle mich einholte, überholte und von neuem aufsitzen ließ. Es nutzte nichts, meine Augen musste ich aufbekommen. Ich versuchte es so lange, bis es ging, trabte wieder nach unten, klingelte, raste wieder nach oben, klingelte, niemand machte auf. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo ich lag und hörte gebannt auf die Musik. Dann dämmerte es mir.
Die Musik kam aus unserem Wohnzimmer! Von dort oben, auf meinem Bücherregal. Da oben stand der Übeltäter. Ich holte einen Stuhl und barg das Radio. Es sah aus wie die Trinkflasche meines Sohnes. Ich nahm die Batterien aus dem Deckel der Trinkflasche und dann war Ruhe – und dann wachte ich auf.
Als ich mich fast erstickt, hustend, halb erblindet durch das Badezimmer tastete, weil mir die Luft, die voll von kleinen Tröpfchen aus der Düse des Badreinigers war, in Hals, Nase und Augen kratzte, musste ich plötzlich an die Hörfunkwerbung in der Metro neulich denken. Dort sollte mir von einer gutgelaunt flötenden Frauenstimme suggeriert werden, dass das Saubermachen zur "echten Wellnesserfahrung" würde, wenn ich doch nur ein paar Tropfen ätherisches Öl in meinen mit heißem Wasser gefüllten Putzeimer einließe.
Der Mann von heute putzt gar nicht mit einem Eimer heißem Wasser, sondern mit ultrascharfem Reiniger, dessen Anwendungshinweise keine Hinweise, sondern Werbebotschaften sind. Diese Botschaften suggerieren, dass Rost, Kalk, Fett usw. kein Problem sei, mit dem sich der Haushälter länger als eine Minute zu beschäftigen hat, denn genau so lang ist die Einwirkzeit des Gifts und dann lässt sich alles einfach abspülen. Viel eher sollte man die Warnhinweise lesen und sollte dort etwas stehen wie: Atmen Sie auf keinen Fall die Aerosole in der Luft ein!, heißt das, für Duschkabinen ist der Reiniger völlig ungeeignet.
Nachdem ich aus Sicherheitsgründen meine Duschkabine geschlossen hatte und nach drei Minuten Husten wieder ins Bad getorkelt kam, fragte ich mich, wie ich denn nun meine Dusche von innen abspülen könne, ohne dabei die Türen öffnen zu müssen, wir haben nämlich kein Fenster im Bad, mit dem sich frische Luft zuführen ließe. Leider fand ich dazu keinen Hinweis auf der Sprühflasche und so hielt ich die Luft an, kniff die Augen zusammen und dachte an Eukalyptus.
Ich musste meine heutige Tagesplanung komplett über den Haufen werfen, weil eine Erzieherin in der Kita krank geworden ist. Ein ungelenker Riese, wenig gestraft durch ein sehr pflegeleichtes Kind, sollte dann die Vertretung übernehmen - ich. Wie anstrengend das werden würde, zeichnete sich bereits bei meinem Erscheinen ab, als 8 Kinder gleichzeitig den schmalen Flur entlang liefen und mehr schlecht als recht in ihre Regensachen krochen. Gummistiefel, habe ich gelernt, sind erst zu Ende, wenn das Kind danach aufsteht und nicht plötzlich einen Kopf größer ist, als das gleichaltrige daneben. Auf die Frage, ob die Schuhe fertig angezogen sind, kommt dazu übrigens nie eine befriedigende Antwort.
Draußen konnte ich zusehen, wie Bälle, Schaufeln und sonstige Gegenstände detonationsgleich in dem kleinen Garten verteilt wurden, teilweise auch über Zäune und Hecken. Das Universum muss auf ganz ähnliche Weise entstanden sein. Die wenigen kleinen Bäume, insbesondere ein kleiner Buchsbaum hinten in der Ecke des Gartens, wurden misshandelt wie Viehdiebe, anstatt sie zu teeren und zu federn wurden sie gerupft und geschüttelt. Ständig war von allem zu wenig da - ganz besonderer Mangel bestand an Bällen, die leider immer wieder über Zäune abhanden kamen - oder lag woanders, so dass ein gerade geschlichteter Streit an anderer Stelle einfach von neuem entbrannte.
Als es zum Mittagsschlaf ging und ich neben meinem Sohn lag, weil er das Schlafen in fremder Umgebung noch nicht so gewohnt ist und diesen Platz sonst die erkrankte Erzieherin einnimmt, wäre ich beinahe vor ihm eingeschlafen. Das ging aber dann doch nicht. Das Los, welches ich gezogen hatte war nicht übertragbar und bedeutete mit dabei zu sein, wenn die beiden Kinder, die keinen Mittagsschlaf mehr machen, nach der Gutenachtgeschichte wieder aufstehen und aus einem Berg Kissen einen Berg Kissen bauen.
Einer meiner Professoren sagte einmal während einer Vorlesung, dass es eigentlich nicht richtig wäre, die Erzieher:innen von allen in der Bildung Tätigen am schlechtesten zu bezahlen, da sie ja den schwersten Job zu machen hätten. Das kann ich bestätigen.
Ich kann sie nicht mehr sehen, die Spitzen. Hören kann ich sie auch nicht mehr. Alles spitzt sich zu: Bankenkrise, die Lage am Hindukusch, Teppich-Affären, Syrien, Atomstreit. Was passiert, wenn sich etwas zuspitzt? Eine Spitze bleibt eine Spitze, selbst wenn ich mir eine Mandelbrotmenge anschaue, und eine wachsende Spitze beobachte, so bleibt die Spitze eine Spitze. Stattdessen wächst die Basis. Sie wird breiter und breiter und breiter bis ich sie aus den Augen verlieren muss, um die Spitze im Blick zu behalten. Was wollen uns die Medien also sagen, wenn sie kritzeln, palavern: „es spitzt sich zu“?
Die Spitze ist im Journalismus eine der strapaziertesten Umschreibungen überhaupt, habe ich das Gefühl. Da gibt es ja nicht nur unendliche Zuspitzungen, außerdem gibt es auch noch Spitzenvertreter, Spitzenpolitiker, Spitzensteuersätze. Eine ganz tolle Spitze ist die hier: Spitzenrefinanzierungsfazilität. Die Spitze ist in aller Munde. Auf die Spitze getrieben, zugespitzt formuliert, mit spitzer Zunge vorgetragen bleibt sie trotzdem nur ein nasser Lappen.
Ich für meinen Teil gebe einen Scheiß auf die Spitze und einen Scheiß auf die Basis. Die Medien geben sich keine Mühe, Fakten ins rechte Licht zu rücken. Menschen geben sich keine Mühe, den Subtext, das Zwischenzeilige herauszulesen, wenn es denn etwas gibt, weil alles beherrscht wird von Spitzen. Die Kompliziertheit, die Interdependenzen (erst wenn der Iran Einsicht in sein Atomprogramm gewährt, wird das Ölembargo aufgehoben; erst wenn das Ölembargo aufgehoben wird, könnt ihr vielleicht mal gucken kommen usw.) werden der kurzen Schlagzeile geopfert und selbst in ausführlichsten Reportagen steht die Spitze am Anfang der Berichterstattung. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man von einer Spitzenzeit sprechen. Das Mantra der Postpostmoderne ist die Zuspitzung, die uns so oft auf Augen und Ohr schlägt, dass sie eher einem Hammer gleicht, denn einer Spitze. Das ist Brechstangenjournalismus; Amplitudendenken. Ich habe Kopfschmerzen.
Entschuldigung. Das musste ich jetzt mal loswerden.
edit: Meine heutiger
Google
Ich habe seit zwei Wochen einen Airbag im Knie. Genau genommen ist es kein Airbag, denn was drin ist, will ich nicht wissen, aber Luft ist es eher nicht. Bei voller Bewegungsfreiheit und mittlerweile wenig Schmerzen, regt mich das kaum noch auf. Nur heute, als unser neuer Geschirrspüler geliefert wurde, da war mir das Kissen im Knie manchmal im Weg.
Nachdem ich den alten Geschirrspüler gleich entsorgt bekam, machte ich mich in den letzten 3 Stunden daran, das vermaledeite Ding anzuschließen. Wie bei allen Plug&Play Geräten stellt die eigentliche Inbetriebnahme meistens kein Problem dar. Das Problem war das Plug. Ich schaute auf den Anschlussschlauch, drehte ihn fest, ging. Ich nahm den Stecker in die Hand, steckte ihn in die Steckdose, ging. Ich nahm den Ablauf, hielt ihn an den Abfluss, ging nicht. Ich verfüge über ein sorgfältig gehütetes Gummimuffenlager nebst diversen Anschlussvariationen für allerlei wasserführendes Gerät, doch leider besaß ich nichts, womit ich diesen Schlauch dort hätte befestigen können. Die Größe war identisch mit dem Ausgang und das kurze Stück echter Gummischlauch, was dem geriffelten und wenig flexiblen Schlauch voranging, einfach zu kurz, um mehr als nur den üblichen Schraubring darauf zu befestigen.
Als ich mich dessen mehrmals überzeugt hatte, also der Tatsache, nichts weiter als Befestigung benutzen zu können, außer dem besagten Schraubring, versuchte ich es einfach so und übergab mein Schicksal dem Lauf des Vorspülprogramms. Vorausschauend wie ich nun mal bin, habe ich dafür extra den Spülenschrank ausgeräumt. Das Handtuch für eventuelle Malheurs bewahrte ich in einem Schrank auf, der weit genug weg stand, um beim Eintreffen etwaiger Wassermassen echte Panik auszulösen. Von der Panik machte ich nach ca. 7 Minuten intensiven Gebrauch, als der Schlauch vom Abflussrohr riss und das
gotzeidank klare Wasser mit einem kleinen Plopp aus dem freiliegenden – nein frei schwenkenden – Schlauch spritzte. Auf den Spülenschrankboden, in die Steckdosenleiste, auf den Fußboden, hinter die Schränke. Bis ich soweit war, den Schlauch unter Kontrolle zu bringen, waren ca. 3,5 Liter in der Küche verteilt. Den halben Liter, der noch übrig blieb – denn das Vorspülprogramm verbraucht exakt 4 Liter Wasser, wie mir die Bedienungsanleitung später mitteilte – fing ich mit der Blumengießkanne auf, die zufällig in der Nähe stand.
Nachdem alles wieder trocken war, berief ich mich auf den ältesten Trick, des ungelernten Klempners: schneide ein Stück Schlauch ab, vorsorglich am Ende, und verlängere ihn dann um das gewünschte Maß. Verlängern wollte ich nicht, aber das Gummiende des Schlauches schien keiner weiteren Belastungsprobe standzuhalten. Demzufolge musste ich das starre Stück Riffelschlauch mit irgendwas verbinden. Ich fand etwas in meinem Muffenlager, was passen könnte und knipperte es mithilfe einer Schlauchklemme daran feste. Dann versuchte ich mein Glück wieder mit dem Schlauchring und siehe da: es passte. Das Vorspülprogramm tat seinen zweiten Dienst und der Schlauch hielt. Ich war so stolz.
Jetzt läuft das Schnellprogamm, 11,5 Liter. Ich sitze jetzt am Rechner und tippe. Jedesmal, wenn ein röcheln erklingt, stratze ich in die Küche zurück und schaue nach dem Schlauch. Das Knie habe ich jetzt total vergessen, aber das Kissen ist noch da und ist manchmal im Weg.
Ich hatte vor kurzem unsere Klingel reaktiviert, weil wir mehrere Pakete erwarteten. Die Pakete waren alle während unserer Anwesenheit geliefert worden. Es klingelte, ich ging zur Tür und öffnete. Es kam ein junger Mann die Treppe hochgerannt, hielt mir sein Bedienpanel vor den Bauch und nötigte mir eine Unterschrift ab. Dafür bekam ich dann jeweils ein Paket, eins von GLS, eins von DHL und noch eins von einem Lieferservice, dessen Name mir entfallen ist. Das Ganze spielte sich letzte Woche ab.
Diese Woche kam noch ein Paket, das niemand auf der Rechnung hatte. Ich musste dafür auch nicht unterschreiben, ich bekam es einfach so ausgehändigt, von DHL. Das ging nur deshalb, weil ich vergessen hatte, den weißen Draht unserer Klingel zu lösen. Normalerweise ist unsere Klingel immer abgestellt. Es nervt einfach, wenn Hinz und Kunz an jedem Vormittag ein Konzert im Treppenhaus veranstalten, weil irgendein Wurstblatt in irgendeinen Briefkasten zu landen hat. Viel schlimmer noch als die Wurstblätter aber sind die Pizzablätter der Bringdienste, die Kreditofferten und Zirkusse, die Jubiläen von Autohäusern.
Meine schlimmste Arbeitserfahrung machte ich vor zwei Jahren im Sommer, als ich einen Stapel Infoblätter von den Herrenhäuser Gärten und ihren Konzertreihen in die Hand gedrückt bekam und vor dem Opernplatz an Passanten verteilen sollte. Ich sollte nicht nur verteilen, sondern explizit auf die Veranstaltungen verweisen, die Leute in ein Gespräch verwickeln und ausschließlich den wirklich Interessierten einen Flyer in die Hand drücken. Ein älteres Ehepaar, was mehr oder weniger eine Abendveranstaltung besuchen wollte an diesem Tag ( es fand genau an diesem Tag die Eingangsveranstaltung der Konzertreihe statt ), waren die einzigen wirklich Interessierten. Den Rest der Flyer drückte ich mitleidvollen Passanten in die Hände. Auf jede Annahme eines Flyers kamen ca. 10 Absagen, Abwinken, Ignorieren.
Nach ca. 20 verteilten Flyern ging ich eine Runde um die Oper herum, fand eine unauffällig geparkte Tonne und entledigte mich der Hälfte des schweren Gutes. Besser ging es mir dann nicht. Auch nicht, als ich die andere Hälfte wieder bei meinem Arbeitgeber ablieferte. Aber ich wusste wenigstens, welchen Job ich niemals wieder machen würde. Ich verminderte meine tatsächlich geleistete Arbeitszeit um eine Stunde des schlechten Gewissens wegen, und kündigte noch am gleichen Tag.
Weil ich unsere Klingel weiterhin in Betrieb halte, läutet es zur Zeit mindestens zweimal am Tag, wegen des Postboten und wegen einer ungewollten Offerte irgendeines armen Menschen, der ebenfalls ein schweres Päckchen trägt und sich dessen in unserem Hausflur entledigen möchte. Bevor ich den Job gemacht hatte, wollte ich schon des Öfteren herunterlaufen und mit drohender Faust auf die Tabuklingel, unsere, verweisen. Ich bin dafür zu gut erzogen. Ich nehme mittlerweile jeden noch so beschissenen Flyer an, den man mir in die Hand drücken möchte und lehne nur ab, wenn ich bereits an anderer Stelle aus anderer Hand den gleichen vorzuweisen habe. Den zeige ich dann freundlichst vor und gehe meiner Wege. Zu Hause wandern die Papiere in den Müll, ich traue mich nicht einmal mehr, sie vorher wegzuwerfen.
Und heute will ich gerade das Haus verlassen, als ich, der ich immer durch die Hintertür auf den Hof trete, den Postboten sehe, wie er mit rascher Hand die Klingel im Haus auslöst und um Einlass bittet. Es summt, er ruft: "Post! Danke!", und beginnt die Briefkästen zu füllen. Ich gehe hinten raus, laufe vorn herum und frage mich, ob er nur dort geklingelt hat, wo er auch einen Brief einwerfen wird; ob er aus Rücksicht nur wenige bestimmte Klingeln betätigt, wenn er sich einem Hauseingang nähert. Ich warte vor der Eingangstür, bis er wieder herauskommt und frage ihn danach. Er antwortet, dass er überall klingelt, sonst würde er noch morgen die Post von gestern austragen. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, ob an seinem dicken Schlüsselbund nicht auch der Schlüssel für unsere Haustür befestigt ist, ich habe soeben die Klingel wieder abgeschaltet.
Jetzt sind Ferien, ich war in den Ferien und irgendwie ist alles auf Ferien umgestellt. Mein Prokrastinspiegel nähert sich dem Höchstwert. Die Sonne lacht jeden Tag aufs Neue über all die Sachen, die ich mir vornehme und träumen tu ich auch nur Scheiß. Heute wachte ich sogar vom Träumen auf.
Der Traum war so absurd, dass ich davon aufgewacht bin und ihn sogleich vergessen habe. Als ich dann hier am Rechner sitze und kurz was schreiben will, drängt er sich in mein Gedächtnis und klaut allen anderen Ideen die Luft zum Atmen. Jetzt sitze ich hier und überlege, ob ich irgendjemand mit halb aufgeblasenen Volleybällen, einer zugigen Turnhalle und meiner Berufsschullehrerin belästigen sollte oder ob ich meinen Prokrastinspiegel - diesmal aus durchaus vernünftigen Gründen - zur stabilen Wetterlage erkläre.
Ich glaube, ich mache beides. Ich entschuldige mich hiermt für die Erwähnung eines Traumes, belasse es bei den drei sinnlosen Absätzen und genieße das Wetter so lange es heiß ist.