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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Astrid Lindgren: Kalle...
Astrid Lindgren: Kalle Blomquist lebt gefährlich, Verlag...
Shhhhh - 28. Mai, 20:30
Fich
mit Michgemüse.
Lo - 2. Jun, 00:20
Er
meinte Fich. ...tennadelsarg. Twodays Beerdigung.
pathologe - 1. Jun, 08:21
Fisch?
Ich riech' nix. ;-)
Lo - 1. Jun, 07:37
Tschüß
...und danke für den Fisch.
Shhhhh - 1. Jun, 06:45

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Gedankeninseln

Montag, 1. Oktober 2012

Ei?

Frühstücksei. Das ist ein Wort, das kann mein Sohn noch nicht sagen. Er verlässt sich darauf, dass wir die letzte Silbe verstehen und ihm zu gegebener Zeit ein solches präsentieren. Die Zeit, zu der das passiert, ist immer sonntags. Und sobald wir beide vom Bäcker kommen und die Küche betreten haben, in der gerade ein Ei von meiner Frau abgepellt wird, ertönt der Ruf eines furchtbar seltsamen Vogels. Es klingt ein wenig nach den Möwen aus „Findet Nemo“, die stets und ständig „meins?“ rufen. Nur sein Ruf ist noch kürzer und bezieht sich direkt auf das dampfende weiße Ding, was gerade von der Küchenarbeitsplatte zum Frühstückstisch wandert: „Ei? Ei? Ei?“, dabei wird heftig mit dem Finger gezeigt und am Kinderstuhl geruckelt. „Jetzt setz mich doch, verdammt nochmal, endlich in den Sitz und gib mir das Ding da rüber!“ Das wäre mein Übersetzungsvorschlag für die lautstarke und gestenreiche Darbietung.

Ich wäre wahrscheinlich nicht der Vater unseres Sohnes, wenn ich nicht wüsste, dass ich als kleiner Junge nicht anders gewesen bin. Ich vermute, es gibt für jedes Kind in einem bestimmten Alter eine bestimmte Köstlichkeit, die alles zuvor Gelernte vergessen lässt und unter Aufbietung allen Vokabulars, aller Gestik und Mimik, und alles total durcheinander, einen Wunsch – nein, einen Willen! – formulieren lässt, den Eltern offensichtlich trotz aller sonstigen Verständigungsprobleme eindeutig identifizieren können.

„Ei?“, das kennen auch meine Eltern noch. Ich war ein Frühstückseiliebhaber besonderer Art. Ich war zuerst kein Gourmet in Sachen Frühstücksei, ich verschlang sie alle. „Alle?“, ruft mein Sohn Fiete dann, wenn ich ihm verständlich gemacht habe, dass er sein Ei restlos verputzt hat. Und dann schaut er auf mein Frühstücksei, zeigt darauf und ruft wieder: „Ei? Ei? Ei?“ Gestern habe ich mein Ei hinter einer Phalanx aus Kaffeetasse, Zuckerstreuer und Marmeladenglas versteckt, mein antifietestischer Schutzwall, das stimmte Fiete etwas ratlos, brachte ihn aber immerhin dazu, noch etwas anderes zu essen, außer die Eier von allen anderen, die am Frühstückstisch saßen. Meins war außer Sicht und das meiner Frau ist sowieso bereits nach Verzehr von zwei Brötchenhälften passé.

Früher verschlang ich mein Ei auch deshalb, weil ich zwei Geschwister habe. Ich verschlang einfach alles in wahnsinniger Geschwindigkeit. Gab es einen Nachschlag, so war ich mit meinem ersten Teller bereits fertig, bevor meine Mutter allen anderen aufgetan hatte. Das ging mit den meisten Dingen so, bis heute. Viel und schnell. Nur beim Ei, da wandelte sich mein Verhalten irgendwann als kleines Kind.

Ich war bereits so alt, dass ich wusste, wie man einen Löffel bedient, ich konnte mir mein Brötchen selbst schmieren – Butter, Salz und Pfeffer, etwas anderes esse ich heute noch nicht zum Ei – und ich habe irgendwann begriffen, dass es nur eine ganz bestimmte Zeit des Eiüberflusses gibt, nämlich Ostern, und ich mich sonst mit nur einem Ei zufriedengeben muss. Als ich das begriffen hatte, wandelte sich mein Verhältnis zum Frühstücksei grundlegend. Ich aß plötzlich mit Bedacht. Ein klitzekleiner Löffel portionierte das Ei zu immer kleineren Happen, die parallel zum Biss vom Brötchen in die Luke geschoben wurden. Ich konnte so bis zu drei Brötchen, also 6 Hälften, mit nur einem Ei essen. Grundlegend hat sich mein Essverhalten demnach nicht geändert, was meinen Vater also weiterhin den Kopf schütteln ließ, nur mit dem Ei ging ich plötzlich anders um.

Wenn Fiete, unser Sohn, demnächst eine Schwester bekommt, und diese nach geraumer Zeit ein eigenes Ei zum Frühstück – also in ca. 2 Jahren wahrscheinlich – wird er sich sein Brötchen selbst schmieren können. Dann wird er einen Eierbecher bekommen, das gleiche Format übrigens, wie die Eierbecher, die meine Eltern früher besaßen und wir heute noch besitzen – ich schätze fast jeder Haushalt der DDR verfügte über diesen Eierbechertyp der „tausend kleinen Dinge“, ein Gockel aus Plaste, einfarbig gelb, rot, blau oder grün – und er wird sich sein ganz persönliches Ei einteilen können, wie er will, ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.

Mittwoch, 26. September 2012

Das X mit der Schrift

Mit Verwunderung stellte Trithemius fest, dass er sich nicht erklären könne, wie ein Hemd in dieser Größe wohl aussähe: XXXXL. Das Hemd in seiner Größe kostete seinerzeit wesentlich mehr, als ein Hemd in dieser Größe kurz vor der Schließung des Geschäfts. Geschlossen ist es jetzt deshalb, weil renoviert wird. Neue Fenster, neue Oberlichter, wahrscheinlich auch ein völlig neues Innenleben wurde in dem Laden neben unserem Kaffeestübchen konzipiert und jetzt befindet sich eine Schreinerfirma in der Ausführung der Pläne.

XXXXL. Stünde jedes dieser iXe für einen Arbeitsschritt, so könnte man sich ein ungefähres Bild von einem Unterfangen wie dem Umbau eines Ladengeschäfts machen. Läse man den aktuellen Text von Trithemius, würde man sich bewusst machen können, welche Arbeitsschritte nötig waren und heute nötig sind, um einen Text „auf Papier“ zu bringen. Wir bringen aber heute kaum noch etwas zu Papier. Der Text entsteht an einem Computer, an dem eine Tastatur hängt, auf dem eine Standardtastatur abgedruckt ist, die es uns ermöglicht, in einheitlicher Schriftgröße vor uns hin zu tippen. Wir haben unser Arbeitsmittel vertauscht – manchmal. Wir haben dem Prozess des Schreibens viele kleine Prozesse beigefügt. Wo vorher eine Papiermühle, ein Bleistiftmacher vonnöten war, nebst Lehrer, der einem das Schreiben beibrachte, zuletzt einen Schreiber und eventuell einen Leser als Letzten in der Kette eines Prozesses, der nichts weiter wollte, als mitzuteilen, sind es heute viel mehr iXe, die dazu nötig sind, um nichts mehr als das Gleiche zu erreichen: mitzuteilen. Wir benötigen dazu weiterhin all diese Dinge, sollten wir, wie ich zum Beispiel, nach wie vor ein Notizbuch mit uns führen. Wir benötigen aber auch die Industrie zur Herstellung von Tastaturen, Prozessoren, Monitoren, Computermäusen und nicht zuletzt auch die Programmierer, die dafür sorgen, dass unsere Eingabe auch dem entspricht, was wir wollen: eine von Vielen lesbare Mitteilung.

Wir unterhielten uns aber nicht nur über die Mittel zur Ausführung des Schreibprozesses, sondern auch darüber, was mit uns dabei passiert. Früher benötigten wir dazu eine Kerze oder nicht, je nach Tagesfortschritt, einen Arm, eine funktionierende Hand und ein Auge, meistens zwei, und natürlich das ein oder andere Hirnareal, welches, angeregt durch unser Tun, Synapsen zum Arbeiten brachte. Natürlich könnte diese hohe Form der Konzentration auf einen so schlichten Vorgang wie dem Abfassen einer Nachricht ein Gut sein, dass wir in heutiger Zeit vermissen. Gerade weil es aber Leute gibt ( den hier zum Beispiel ), die das in aberwitzigen Studien, ganzen Buchreihen, ach was sage ich: ganzen Bibliotheken, zu beweisen versuchen, kommt der vernünftige Mensch nicht um die Frage herum: Ist das jetzt gut oder schlecht?

Nicht weniger Konzentration ist übrigens nötig, um als ungeübter oder geübter ( eigentlich ist das sogar völlig egal ) Tastenklimperer den Fortschritt des Textes sicherzustellen, seine Botschaft klar und unmissverständlich herauszuarbeiten, als es beim Schreiben von Hand nötig ist. Man denke nur, an die vielen Blicke, die es erfordert, Einheit zwischen Gedachtem und Geschriebenem herzustellen, eventuelle Rechtschreibfehler oder Tippfehler auszumerzen. Man bedenke nur die Komplexität der Bewegung einer Extremität beim handschriftlichen Abfassen und dem computergestützten Schreiben, bei dem womöglich zwei Arme zu steuern sind. Auch hier sind also ein paar iXe hinzugekommen, deren einzige messbaren Konstanten Hirnareale darstellen, die wir glauben komplett erforscht zu haben und die scheinbar in ihrer Aktivität leiden, wenn wir von dem Einen lassen und das Andere bevorzugen. Deshalb sind Computer per se schlecht und die Handschrift ein Gut, das es zu pflegen gilt.

Was also alle Schreibprozesse gemeinsam haben, ist das sinnlose oder sinnvolle – je nach Betrachter – Aufblähen eines oder mehrerer Vorgänge, die nur einem Zweck dienen: sich mitzuteilen. Ich sagte zu Trithemius, dass der Herr, der draußen an einem der Tische saß, ein XXXXL-Hemd trug, weil er über einen Körperumfang verfügte, in dem wir beide gleichzeitig Platz hätten. Doch nur weil ich die Größe kenne/vermute, heißt das noch lange nicht, dass seine iXe aus einer schlechtlaufenden Schilddrüse herrühren oder er nicht in jeder Jackentasche ein Arsenal aus Schokoriegeln mit sich führt. Und zu beurteilen, was daran gut oder schlecht ist, das maße ich mir schon gar nicht an.

Freitag, 7. September 2012

Von Leberwurst und Pilzen

Heute fragte mich eine Freundin, wann wir denn diesen Herbst einmal in die Pilze gingen. Für mich war da noch Zeit, vor allem etwas mehr Regen nötig, um die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen. Sie jedoch berichtete von einer Freundin, die offensichtlich bereits im Juli Pilze sammeln war und auch ordentlich gefunden hatte. Nur essen kann sie die nicht. Pfifferlinge aus dem Supermarkt, ok. Champignons, kein Problem. Aber selbst gesammelte Waldpilze kommen ihr nicht auf den Teller. Und das liegt nicht daran, dass sie sich selbst nicht über den Weg traue, sondern, weil, naja, nee, das ist einfach eklig.

Mein Onkel war ja – oder ist, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesprochen – leidenschaftlicher Angler. Nur Fisch essen, das wollte er nicht. Es ging, glaube ich, sogar so weit, dass er auch keinen gekauften Fisch aß. Er verschenkte den Fang oder setzte sie wieder in den Teich. Ich war nämlich auch einmal mit ihm angeln, da war ich noch keine 12 Jahre alt. Den Abend davor, spielte ich bis spät in die Nacht mit meiner Tante Monopoly und am nächsten Morgen konnte ich kaum aus den Augen gucken. Ich habe mir Fischköder als Erdbeerdrops andrehen lassen und die beiden „alten Herren“, mein Onkel und sein Kumpel, haben sich kaputt gelacht, wie ich angewidert das Gesicht verzog.

Heute hätte ich vielleicht ebenfalls ein Problem damit, ein von mir geschlachtetes Schwein zu essen. Früher fehlte mir die Abstraktion. Ich stand ruhig daneben, wie mein Vater ein Kaninchen an den Hinterläufen packte und solange schüttelte, bis es tot war. Blut tropfte auf den Estrich vor dem gartenseitigen Garagentor, wo die Kaninchenställe standen. Ich war hocherfreut, vom Nachbarn, einem entfernten Verwandten, eine Hasenpfote – eine echte! – geschenkt bekommen zu haben. Leider musste ich sie dann später entsorgen, weil sie komisch roch. Und Karnickel habe ich immer gern gegessen.

Allerdings konnte ich ab einem bestimmten Alter, ich glaube, es war so ungefähr zur gleichen Zeit, keine Leberwurst mehr essen. Ich bekam das Zeug einfach nicht hinunter. Diese grobe Masse mit ihren weißgrauen Flocken darin. Die ekelhafte Pelle, durch die das Messer schien, wenn es die Innenseite freikratzte. Ich hatte den Geschmack für Jahrzehnte in meinem Kopf gespeichert und musste mich dessen nur erinnern und dann konnte ich die Leberwurst schon schmecken. Ein Graus. Später das gleiche mit Rotwurst, dann Teewurst, dann nur noch Marmelade oder Butter und Salz. Im Gegensatz zum toten Kaninchen fehlte mir hier ein echter Bezug zum Tier. Diese reziproke Entwicklung hat sich in beidem wieder abgeschwächt. Ich esse Mortadella und Salami, Würstchen und andere Wurstprodukte, deren ehemaliges Leben ich nicht erkennen kann genauso wie ich Kaninchen oder Fisch esse. Ich gehe selber gern Pilze sammeln und esse sie dann auch gern. Ich habe mir sowohl Distanz als auch Nähe zum Lebensmittel bewahrt. Irgendwie seltsam.

Mittwoch, 5. September 2012

Die Eurohochzeit

Angelehnt an das alte Volkslied der Vogelhochzeit habe ich mir erlaubt, den Text neu auszurichten und mich den Eurostaaten zu widmen, mein besonderes Augenmerk lag dabei auf den Motiven der Ein-Euro-Münzen der Mitgliedstaaten.

Ich bin damit längst nicht fertig geworden, wollte nur ein paar Anregungen loswerden. Den Rest, liebe Leser:innen, wollte ich Ihnen überlassen. Wer sich das Lied vorher noch einmal zu Gemüte führen möchte, hier entlang und die Motive der Ein-Euro-Münzen gibt es hier. Los geht's:

Europa wollte Hochzeit machen, das ging leider nicht so gut
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala
Es fanden sich fast alle ein, doch verließ sie alsbald der Mut
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Der träge Bundesadler, er wird zum Dauertadler
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Die abgebrannte Eule nimmt Abschied mit Geheule
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Juan Carlos, das war ja klar, der flüchtet sich nach Afrika
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Dem Kreuze der Maltesen, dem blieben nur die Spesen
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Freitag, 31. August 2012

NVWG

Spätestens seit den Fantastischen Vier aber vermutlich schon vor ihrem Hit "MfG-Mit freundlichen Grüßen" sind einem die Abkürzungen schon mal aus den Ohren gekommen. Eine ganz besonders blöde Abkürzung, die mindestens einmal im Jahr zu nerven beginnt - ich schaue mir das nicht an, aber selbst dann kommt man wegen verschiedener Plakatwerbung nicht gänzlich drum herum - ist ja DSDS.

Gestern allerdings hörte ich seit langem mal wieder eine wirklich gute Abkürzung. Als Mittdreißiger gehört man ja nicht mehr zu denjenigen, die so etwas selbst entdecken, geschweige denn verbreiten. Man kann schon froh sein, wenn einem die Jugend überhaupt erklärt, was sie damit meint:

NVWG=Nur von Weitem geil!

Mittwoch, 29. August 2012

unscharfe Niveauletten

Ein kleines Zwischenspiel muss ich einfügen, ich warte noch auf die Stimmung, die mich trieb, auf die Erinnerung, die mich befiel. Das Stakkato der Tastatur hat noch nicht genügend Verstetigung erfahren und stolpert mehr, als dass es flüssig läuft. Ich könnte ja mehr Punkte setzen, ist mir heute eingefallen beim Beschwören, beim erneuten Lesen. Aber Stimmung und Erinnerung sind auch keine Lakaien, die sich herbeirufen lassen. Der bin ich, wie ich hier sitze und klimpere.

Gestern Abend sinnierten wir wieder einmal über das Konstrukt Wirklichkeit und welches Stück davon nicht erwartbar ist; das Drumherum, also das, was wir zu sehen glauben oder uns selbst, wie wir uns präsentieren, um einen möglichst vorteilhaften - für uns - Platz in jemand anderes Wirklichkeit einzunehmen. Heisenberg war auch mit da, blieb aber nüchtern und verschlossen für uns zwei Stammtischphilosophen. Das Ganze war wohl unter seinem Niveau, eine Niveaulette sozusagen.

Sonntag, 26. August 2012

Blankenburg: Landmarken aus allen Erinnerungen

Sogar seine Frau war am Tag unserer Abreise freundlicher, als ich es noch vor drei Tagen für möglich gehalten hatte. Sie kam zwar – wie vorher auch schon einmal – wieder durch die innerhalb der Ferienwohnung gelegene Verbindungstür zu ihrem Teil des Hauses – sie hatte ein Schlüsselbund, mit dem sie ein Klopfen an der Tür simulierte, indem sie es vernehmlich klappern ließ, bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckte, herumdrehte und plötzlich in unserem Flur stand – aber sie erwischte uns nie mit heruntergelassenen Hosen. Sie lief unserem Sohn entgegen und ehe der noch protestieren konnte, saß er bei ihr auf dem Arm und wurde besprochen wie eine Bauchrednerpuppe. Das kennt er ja, das beeindruckt ihn nicht. Ich war beeindruckt, von so viel plötzlichem Zutrauen.

Doch ich schweife ab, denn bevor wir überhaupt wieder abreisen konnten, mussten wir ja erst einmal richtig ankommen. Mir ist das die ganze Zeit nicht gelungen, weil ich mit gewissen, positiven Vorbehalten an diesen Urlaubsort belastet bin. Die sich zwar abstellen aber nicht einstellen ließen. Also nicht oft. Ich hatte zum Beispiel trotz mehrmaliger Urlaubsaufenthalte während der Kindheit überhaupt kein Problem damit, mich an Details aus unserer damaligen Unterkunft – ein FDGB Heim – zu erinnern: den großen Wintergarten im Frühstücksraum, das mit klein gehämmerten Glas eingefasste Treppenhaus, den dunklen Teppichboden in der Wohnung oder der riesige Fernseher im Wohnzimmer, auf dem nach der Aktuellen Kamera mein erster Winnetoufilm lief. Ich war aber nicht in der Lage diese Innenansichten auf meine Umgebung zu übertragen, ich habe das Haus nicht wieder gefunden. Nicht die Straße. Ich habe nichts wiedererkannt. An was glaubte ich mich also zu erinnern? Gerüche? Geräusche? Wäre ein Trabant durch eine Straße gefahren, die wir dort zu Fuß durchschritten, ich hätte vielleicht schwören können, dass das gesuchte Haus hier irgendwo sei, umgebaut, renoviert vielleicht.

Aber auf der anderen Seite: sogar die Treppe hinauf zur Teufelsmauer – von der ich im Übrigen eine ziemlich genaue Vorstellung in meiner Erinnerung/Fantasie hatte, bis ich sie sah – war nicht die Gleiche, der Aufgang war ein ganz anderer. Dabei war ich mir sicher. Überhaupt, diese ganzen Straßen und Häuser. Soviel Leerstand. Ob Ladengeschäfte, Wohnungen oder Tiefgaragenplätze, alles konnte man hier mieten oder gleich kaufen und zwar massenhaft. Der Ausverkauf ist noch nicht am Ende. Was mit den Filetstückchen kurz nach der Wende begann, zieht seine Kreise jetzt in kleineren Bahnen, jetzt wird einfach alles verscherbelt.
Das Schloss Blankenburg war ja früher ein solches Filetstück, bis es dann fast zu spät war und bei einer Zwangsversteigerung „zurückgekauft“ werden musste von dem Verein „Stiftung Schloss Blankenburg“. Ich musste daran denken, als ich, zurück in der Stadt, wieder zum Schloss hochblickte. Ich stand links von der Touristeninformation, das Schloss Blankenburg liegt von dort in einer Flucht mit dem Rathaus und der dahinterliegenden Bergkirche St. Bartholomäus wie ein verwitterter Prometheus an den Berg gekettet. Mir huschte ein kalter Schauer um die Beine, ich sah mich danach um und entdeckte in einem verlassenen Haus ein offenes Kellerfenster.

Mittwoch, 15. August 2012

Zivilisationsdemenz mit Handtuch

Es ist fünf nach zwölf, als ich den Lokus des Falafelmannes betrete. Ich erwarte keine vor Sauberkeit strotzende Toilette, lieber ist mir schon, nur ein Stück Seife vorzufinden, ein Handtuch vielleicht und eine funktionierende Spülung. Finde ich. Alles. Ich habe Falafel bestellt, will aber ein Schawarma, ich brauche Fleisch, der Verkäufer korrigiert mich und schickt mich dann nach hinten. Dort sei das Klo.

Ich wasche mir nach verrichtetem Geschäft die Hände. Der Apparat an der Wand, der Seifenspender, ist leer. Dafür steht eine Flüssigseifenpackung auf dem Rand des Beckens. Ich sehe nach links oben und entdecke auf dem Handtuchspender einen Aufkleber: Gegen Nazis auf die Straße! Am 04.08.12 in Bad Nenndorf! Der Aufkleber ist halb abgerissen, wir haben den 10.08.12! Schon veraltet.

Ich sehe noch weiter nach oben, dort liegt, fein säuberlich gestapelt ein Papierhandtuchstapel auf dem an der Wand befestigten Spender. Der Handtuchspender ist leer. Ich muss daran denken, wie ein Mann in einem YouTube Video erklärt, wie es möglich ist, seine Hände an nur einem Handtuch zu trocknen. „How to use one towel“ heißt der Film und nach der dritten Vorstellung, also dem Akt des Trocknens der Hände mit nur einem Papierhandtuch, fangen die Leute im Publikum an zu lachen. Man sieht sie nicht. Ich aber frage mich, was daran komisch ist.



Es ist zehn nach zwölf. Auf dem Weg nach draußen fällt mir mein Stempel ein, den ich neulich morgen am Handgelenk trug. „BEZAHI“ stand darauf und ich wunderte mich, in welchem orientalischen Club ich wohl gewesen sein mochte. Erinnern konnte ich mich nicht, dafür war ich zu betrunken. Erst später fiel mir ein, wo ich war; dass nicht „BEZAHI“ auf meinem Handgelenk, sondern „BEZAHLT“ hätte stehen müssen aber die Abrollbewegung des Stempelnden zu flapsig gewesen sein musste oder mein Handgelenk zu klein. Auch dort gab es Toiletten, sehr sauber. Es saß ein alter Mann davor, mit einem Wischmopp und einem Porzellanschälchen. Er sorgte für Sauberkeit. Die Papierhandtücher lagen auch dort nur auf und nicht im Spender.

Es degeneriert vor sich hin. Wir merken es nicht. Wir feiern eine großartige Erfindung nach der nächsten, schauen nicht zurück und ignorieren die Tatsache des bereits Dagewesenen, bis der Hype auf Originalität, auf Individualität, nach Innovation uns erfasst und nach vorn schleudert. Ins Jetzt, nach Morgen, Übermorgen; Zukunft gesichert.

Ich schaue auf mein zweites Papierhandtuch – das erste ist mir zerrissen und tropfte vor Wasser, als ich es im Eimer entsorge – und knülle es zusammen. Das Wasser hängt mir zwischen den Fingern wie Schwimmhäute. Ich schüttle die Hände, wie ich es hätte vorher machen sollen, streife die letzten Tropfen am Hosenbein ab und warte auf mein Falafel, nein Schawarma – ich wollte ja Fleisch.

Montag, 13. August 2012

Schon wieder nur geträumt

Ein abgebrochener Gartenteich und eine Packung Toffifee, in die ich eine Prinzenrolle zu verstauen habe. Unlösbare Aufgaben oder wie Trithemius zu sagen pflegt: „Völlig machtlos stand ich vor dieser Liste!“ Ich bin Prüfer in der wichtigsten Prüfung. Ein Holländer. Weil es um Gärten geht, frage ich ihn zum Abschluss nach der Göttin der Fruchtbarkeit. Wir machen uns auf den Weg in die Herrenhäuser Gärten, wollen den Irrgarten besuchen, doch weil es stockdunkel ist, verlaufen wir uns. Uns fehlt die Kultur, stellt einer von uns fest. Wer, weiß ich nicht mehr. Überhaupt kann ich nicht sagen, mit wem ich unterwegs bin, da sind nur zwei schemenhafte Schatten vor mir, und obwohl ich sie eigentlich kennen muss, entgleitet mir diese Bekanntschaft immer wieder.

Dann sind wir plötzlich auf der Limmer. Eine Frau putzt die Stühle vorne auf der Straße und ihre Pobacken schieben sich oben aus der Hose. Ich frage mich, ob sie dort kitzlig ist. Als sie fertig ist, fragt sie uns: "Wollt' ihr noch was trinken?" "Nein, ich nicht. Ich hatte einen Herzinfarkt", sagt Trithemius. Ich wache auf, weil meine teilverstopfte Nase bei jedem Atemzug ein kleines Tröten von sich gibt. Seltsam, so Schnupfen im Sommer.

Freitag, 10. August 2012

Das ess' ick im Keller!

Da sitze ich in einer Bar, trinke Pfefferminzlatte, weil ich mir dachte, diesen verdient zu haben, und versuche still ein gerade gekauftes Buch zu lesen.

Es sind furchtbar kleine Absätze, immer getrennt durch eine ganze Zeile, so dass in mir der Eindruck entsteht, es handele sich dabei immer um kleine Bonmots statt um eine Erzählung - Lektüre für Minuten. Und es ist tatsächlich verdammt oft ein umso kleinerer Satz im Absatz dabei, der funktioniert wie ein Twitter-Highlight des Monats. Nur gab es noch kein Twitter, als das Buch erschien.

Ich sitze also da, bin ständig abgelenkt und herausgehoben aus diesem Buch, als mein Tischnachbar zwei belegte, bestellte Brötchen erhält und im Berlinerisch von sich gibt: "Mann, sieht det jut aus. Kannste mir det einpacken? Das ess' ick im Keller!"

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