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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Der alltägliche K(r)ampf

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Mission Kinderküche, die Erste

Wer wie ich nicht auf Weihnachtsstress steht, sucht sich eine Therapie. Und was eignet sich da nicht eher, als es mit Basteln zu versuchen. So habe ich die alte Säge wieder hervorgeholt, die Farben, die ich vom Kinderbettbau noch übrig hatte, ein paar Pinsel, Schleifpapier und einen Akkuschrauber. Seit Tagen sitze ich nun in holder Eintracht mit mir und meiner Umwelt am heimischen Arbeitsplatz und schleife, grundiere, schraube, säge was das Zeug hält.




Herauskommen soll eine kleine Küche, mit der sich unsere Kinder dann endlich selbst versorgen können (nichts geht bei mir ohne Hintergedanken, hehe). Ich werde berichten.

Sonntag, 27. Oktober 2013

Es ist Sonntag

Es ist kaum neun Uhr und von unten dröhnen bereits wieder Bässe zu uns herauf. Nur ganz kurz, als wolle uns jemand sagen, dass er jetzt wach ist. Das ist natürlich ärgerlich, vor allem wenn man mit diesen Bässen schon die halbe Nacht zu kämpfen hatte.

Trotzdem sei dieser kleine Anflug von Revanchismus gestattet, schließlich war ich es ja, der es seinem Sohn erlaubte, gegen halb sieben vom Sofa auf den Boden zu springen. „Was, so weit kannst du schon springen? Mach‘ das nochmal!“

Freitag, 25. Oktober 2013

9 Uhr, ungeduscht

Kennen Sie Luxusprobleme? Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die über solche Dinge klagen, mich selbst kann ich da leider nicht ausschließen, auch wenn mir zufällig gerade keines einfällt, dass mich selbst belastet.

Luxusprobleme sind ja, wie der Name schon sagt, Probleme, die immer dann auftreten, wenn es uns eigentlich hervorragend geht. Dann wenn alles in Ordnung scheint, geregelte Abläufe unseren Tag bestimmen, immer ein wenig Geld im Portemonnaie steckt und der oder die Liebste hochzufrieden mit uns sind, dann geschehen plötzlich Dinge, die so aberwitzig sind, dass wir nicht mehr darauf reagieren können. Und was mir daran aberwitziges aufgefallen ist: Luxusprobleme kommen durchs Telefon.

Luxusprobleme lösen zumeist eine Art Handlungsparalyse aus. Dinge, die vorher innerhalb weniger Sekunden oder Minuten von statten gingen, hängen sich plötzlich in sinnlose Handlungsschleifen auf und verquasen den Denkapparat. Ein Anruf kann die ganze heile Welt aus den Fugen bringen. Da kündigt sich plötzlich Besuch an, der erst abgewimmelt und dann doch noch hereingebeten wird. Dieser Besuch fragt so lange komische Sachen, bis einem nicht mehr einfällt, weshalb alles überhaupt so ist und man Dinge damit begründet, dass andere Dinge dafür verantwortlich sind, die vorher dafür verantwortlich waren, dass die Dinge, die man eben begründen wollte, nicht mehr klappen. Handlungsparalyse.

Ein anderes Beispiel. Da ruft plötzlich jemand an und verlangt völlig unbegründet einen Termin. Man hatte sich selbst gerade so schön eingerichtet in seinem Leben, der Kaffee steht neben dem Schreibtisch, der Rechner brummt zackig wie ein Soldat, gerade ist man dabei etwas Großartiges in die Tat umzusetzen, da klingelt es und alles ist zunichte. Es ist gerade einmal 9 Uhr und der Tag ist schon gelaufen, weil ein Termin droht, zu dem man vorher auch noch duschen muss. 9 Uhr, ungeduscht.

Dienstag, 8. Oktober 2013

Haben oder Nichthaben

Wenn du 50,- € brauchst, dir aber 50,- € fehlen, dann brauchst du sogar 100,- €, nämlich die 50,- €, die dir fehlen und dann noch die 50,- €, die du brauchst. Haben oder Nichthaben. So ungefähr muss man sich das vorstellen in der Küchen- und Kneipenpsychologie, -mathematik. So oder so ähnlich hat den Spruch ein jeder schonmal irgendwo gehört oder selbst erzählt. Ich kann es nicht mehr zählen, wie oft ich diesen Spruch schon gehört habe, und leider meistens in der Situation, wo mir tatsächlich etwas fehlte.

Gestern Abend fehlte mir auch etwas. Ich ging in den Supermarkt und suchte ein paar Kleinigkeiten für das Abendessen zusammen. Ganz zum Ende machte ich vor dem Süßigkeitenregal halt und wurde auch dort fündig. Mit meinen 11,- € aus dem Portemonnaie ahnte ich, es würde vielleicht nicht reichen. Ich hatte genau drei 2,- € Stücke und einen Fünfer, als ich zur Kasse ging. Ich überschlug die Summen im Kopf und kam auf 12,- €, dachte aber, dass ich ja großzügig aufrundete.

Die Waren laufen piepend über das Fließband, der Pegel steigt. 6,54 €, 7,38 €, 9,41 €.
„11,50 €, bitte“, sagt die Frau an der Kasse. „Hab‘ ich nicht“, hauche ich zurück, das Wasser steht mir schon im Hals. Ich sortiere die Süßigkeit wieder aus, ein bisschen enttäuscht. Ich lege sie rüber und vermelde traurig: „Das bleibt dann hier.“
Sie dreht sich um, schaut über die Regale, klingelt an einem Knopf, es piept irgendwo im Gang. Ihre Chefin muss das Ganze stornieren. Es ist 21:45 Uhr, eine Viertelstunde vor Feierabend. Bis eben war der Laden komplett leer, jetzt steht eine Schlange hinter der Kasse. Alles guckt möglichst unbeteiligt und ärgert sich insgeheim über den Penner an der Kasse, der zu blöd zum Rechnen ist, das bin ich. Ich stehe auch da und starre fassungslos in meine Geldbörse.

Ich krame nochmals darin herum. Ich finde, eingekeilt zwischen dem ausgewaschenen rosa Lappen, einen weiteren Fünfer. Ich drehe mich triumphierend zur Verkäuferin herum, schwenke mein Friedensangebot und will dann alles bezahlen, als schon die Chefin um die Ecke kommt. Stornieren muss sie trotzdem und die Verkäuferin gibt dann alles nochmal ein. „11,50 €, ja?“ fragt sie mich. Ich gebe ihr meinen zweiten Fünfer zu dem ersten und eines meiner 2,- € Stücke. Sie hat von mir 12,- € erhalten und sagt erneut in leicht dummfrechen Tonfall „11,50 €, ja?“, ich nicke und sie gibt mir 1,50 € wieder raus.

Ich hatte kurz überlegt, ob ich dazu was sage. Ob ich vielleicht die Frechheit besessen hätte, mir von ihr mein Kleingeld zu einem Fünfer wechseln zu lassen. Mir fiel diese Redewendung ein, mir fiel ein, wie ich hier bedröppelt an der Kasse stand und „hab‘ ich nicht“ hauchte, wie entnervt rollende Augen den Laden inspizierten, um nach der Chefin zu suchen, wie die Schlange an der Kasse in den Laden hineinwuchs, wie peinlich das alles war; dass mir nicht einmal eingefallen ist, einfach meine EC-Karte zu zücken, wie die dämliche Kuh mich dreimal fragte, ob es denn jetzt 11,50 € seien, ob ich auch alles dabei habe oder ob ich nicht noch eine Packung blaue Säcke oder so… Nein! Ich behielt das Geld, stopfte die Sachen in meinen Rucksack und stapfte aus dem Geschäft.

Donnerstag, 26. September 2013

Unter Pilzen II

So ungefähr zu dieser Zeit (also 10:45 Uhr) erhielt ich einen Anruf im Wald. Trithemius, der neben mir stand, musste kurz innehalten, denn das Gespräch drehte sich um unsere weitere Planung des Tages, ob wir es schaffen würden, in die Mensa zu kommen und wann wir überhaupt zurück seien und ob wir denn schon etwas gefunden hätten. Hatten wir, gegen 15.00 Uhr und nein, Mensa fiele aus, sagte ich und unterschlug, dass es mir bislang nur gelungen war ein paar vorwitzige Goldröhrlinge von der Größe eines Hosenknopfs gefunden zu haben, der später in der Pfanne zu Centgröße zusammenschmolz.

Den bis dato einzigen Steinpilz fand Trithemius, nachdem ich bereits an ihm (dem Steinpilz) vorbeigestiefelt war. Er eröffnete mir den Fund mit der harmlosen Frage, was das denn für ein Pilz sei.

Ich übte mich in lautstarker Begeisterung, obwohl mir zum Heulen war. Ich fand ein paar gelbe Fussel im Gras und er ein Prachtexemplar von Steinpilz.

Wir waren, Sie werden es bereits ahnen, zu einem weiteren Pilzabenteuer ausgerückt, gleiche Stelle nur diesmal mit noch mehr Pilzen! Ich lief verbissen an Trithemius vorüber, sobald das Gespräch beendet war, ich wollte kein Mitleid, nicht schon wieder. Am Samstag nämlich war ich mit meinem Sohn in der Colbitz-Letzlinger Heide unterwegs gewesen, auch zum Pilze sammeln. Wir fanden bis auf ein paar Sandröhrlinge gar nichts. Dafür kam ein altes Ehepaar auf ihren Fahrrädern vorbei. Sie fragten kurz nach dem Status unserer Suche. Nichts, antwortete ich resigniert. Ich konnte ja nicht ahnen, dass diese Frevler mich gleich aufs Niederträchtigste verhöhnen sollten.

Die beiden fuhren weiter, nachdem wir noch ein paar Artigkeiten ausgetauscht hatten und hielten erst wieder an, als ich schon fast außer Sichtweite war. Da riefen sie plötzlich, ich solle mich beeilen und kommen Sie schnell, hier ist etwas. Der Mann stieg ab und ging ein kleines Stück in den Wald, er tat so, als hätte er dort einen Pilz gefunden und wollte mir diesen in die Hand drücken. Schon aus 30 Meter Entfernung sah ich, dass es sich um eine kleine Krause Glucke handelte, die er in den Händen hielt, ein Messer hatte er nicht dabei. Dafür ging seine Frau langsam auf mich zu und hielt ein zweites Exemplar in den Händen. Die wollten sie mir schenken, ob ich denn wüsste, was das für ein Pilz sei. Ja, wüsste ich, ein mäßiger Speisepilz, der mehr knirscht als schmeckt, dachte ich, sagte aber stattdessen danke, ja eine Krause Glucke.

Dann drehte sich die Frau um und deutete auf die große Plastiktüte irgendeines Discounters in ihrem Fahrradkorb, Sie ging hinüber lupfte kurz die Plane und darunter offenbarte sich eine ganze Herde von schwitzenden Krause Glucken. Ich war bedient, wandte mich ab und fand in diesem Moment glücklicherweise den ersten Sandröhrling. Oh, ein Sandröhrling, rief ich, schnitt ihn ab und legte zu den beiden Danaergeschenken in den Korb. Ja, das ist ein Semmelpilz, sagte der Mann jetzt und nach einem kurzen Moment der Verunsicherung, wer von uns beiden jetzt Recht hätte, sagte ich wiederum nur ja und ließ den Alten und seine Frau endlich das Feld räumen. Der Platz war hier mittlerweile sehr begrenzt und nur meinem Sohn ist es zu verdanken, dass es außer mir noch Überlebende gab an dieser einsamen Waldkreuzung.

Ich vergaß die Pilze übrigens bei meinen Eltern, denen ich einen Besuch abgestattet hatte. Ich wollte sie da vergessen. Sie liegen entweder noch auf dem Kühlschrank und trocknen oder schimmeln vor sich hin (geputzt hatte ich sie noch) oder sie sind längst gegessen. Ich konnte es einfach nicht übers Herz bringen, diese Pilze zu essen, ich hatte sie ja nicht selbst gefunden.

Und hier ging es wieder genau so los. Ich war bedient, bahnte mir einen todsicheren Weg an der Flanke zu Trithemius durch das Unterholz und stieß dabei endlich auf einen eigenen Pilz. Einen Steinpilz gigantischen Ausmaßes, kein Schneckenbefall, keine Maden. Daneben noch einer, dann noch einer.

Trithemius rief mich ständig zu sich, damit ich ihm sagen, was er gerade gefunden hatte, es stellte sich allerdings heraus, dass er nur Anfängerglück hatte, er fand längst nicht so viele Pilze wie ich. Hochzufrieden mutete ich Trithemius den ein oder anderen gefährlichen Pfad zu, wir mussten sogar einmal über einen Baumstamm balancieren, um das Kanalsystem überqueren zu können.

Wir fanden noch allerhand Pilze. Zwar waren keine Maronen dabei, aber genügend andere Pilze für ein ausreichend großes Mahl.

Ehrlich gesagt, waren es nachher so viele, dass wir ohne einen klärenden Schnaps am Ende des Tages und der Mahlzeit kaum noch Bewegungspunkte übrig gehabt hätten. Trithemius verlor an diesem Abend sein Smartphone und seine Unschuld, denn er beichtete mir, dass es das erste Mal war, dass er Pilze gesammelt hatte, welche fand und diese dann auch noch essen konnte. Hach, war das schön!

Donnerstag, 19. September 2013

Verzettelt in Gera

Wir waren jetzt fast eine ganze Woche in Gera. Wir haben hier fast nichts von dem zu sehen bekommen, was wir tatsächlich sehen wollten. Es gibt einfach noch keine Pilze im Thüringer Wald, die ich für essbar halte. Und Spaßbäder mit Wasserrutschen gibt es auch nicht, oder wenigstens mit einem Nichtschwimmerbecken. Wir haben nachgesehen.
Das stadteigene Bad ist in Renovierung wegen der Flutkatastrophe kürzlich. Steht auf einem Zettel an der Tür: „Vorübergehend geschlossen.“ Sind wir vorübergegangen, weil wir in den echt schönen Hofwiesenpark dahinter wollten.

Vorübergehend geschlossen ist übrigens eine ziemlich ungenaue Beschreibung, davon konnte Mark Twain ein Lied singen, als er seine Koffer an seinen nächsten Aufenthalt in Deutschland schicken wollte und dies „sofort“ erledigt wissen wollte. Danach wusste er dann, dass „sofort“ für Koffer aus Hamburg nach Sonstwo 5 Tage bedeutet, für andere Dinge bedeutet „sofort“ aber was anderes. Es gibt leider noch keinen Reiseführer für Thüringen, in dem Äußerungen wie „sofort“ oder „vorübergehend“ auf bestimmte Umstände in Zeiteinheiten erklärt wird. Gibt es soweit ich weiß, außer eben die kleine Auswahl in Mark Twains „Bummel durch Deutschland“, für kein Bundesland bzw. für Deutschland allgemein. Wenn Google damit fertig ist, jeden Hinz und Kunz abzufotografieren, können sie ihre Jungs ja nochmal losschicken, um diesem Umstand Rechnung zu tragen.

Es gibt übrigens zwei weitere schöne Erlebnisbäder im Umkreis von 30 Kilometern um Gera. Die hatten in der Woche unseres Besuchs ebenfalls geschlossen. Wieder kündigte ein Zettel an der Tür davon. Ein kleiner Hinweis im Internet wäre nett gewesen aber das Internet ist ja zettellos. So standen wir also mit Sack und Pack vor verschlossener Tür, nach jeweils 30 Kilometern Wegstrecke, mit nicht genügend Zeit, um pünktlich zum Mittagessen zurück zu sein, mit zwei kleinen Kindern. Deshalb gab es einmal Chinarestaurant über einem Einkaufszentrum und einmal Bockwurst an der Tankstelle.

Auf dem Rückweg, nach unserem Festmahl waren wir jeweils im Wald, um uns er Glück zu versuchen und ein paar Pilze zu finden, fanden wir aber nicht. Achso, in den Erlebnisbädern fand übrigens eine turnusmäßige Revision statt, gleichzeitig, sogar Einheimische wussten das nicht, die trafen wir da nämlich vor der Tür. Vielleicht sollte Google auch gleich noch eine Liste der turnusmäßigen Revisionen sämtlicher Anlagen aufstellen oder eine Liste von Läden, die früher schließen, weil ausgerechnet an diesem Tag Inventur ist, oder eine Liste von Wäldern, in denen bereits Pilzsaison ist. Obwohl, da würde mir auch ein Zettel am Wegrand reichen, den ich lesen kann, wenn ich daran vorüberfahre.

Dienstag, 10. September 2013

Wellnesswochenende

Das Wochenende war anstrengend. Es bestand aus größtenteils Bier, Rum, Fertigpizza und Toastbrot; in dieser Reihenfolge. Ich habe mich mit ein paar alten Freunden in einem Haus in Brandenburg getroffen und dort die Nacht zum Tag gemacht. Wir haben versucht, so leise wie möglich zu sein, was uns auch gelungen ist, wie uns der Vermieter bei Abreise bestätigte, der wohnte nämlich auf der Etage zwischen den beiden von uns angemieteten Ferienwohnungen.

Der Nachbar allerdings, dessen Bootsanlegestelle ich unbedingt gegen halb 3 Uhr morgens noch besichtigen musste, weil dort auch unser Boot vertäut war, konnte in dieser Nacht nicht durchschlafen. Seine Hunde, ein Rottweiler und ein Labrador, hielten nämlich nichts von meiner Idee. Ich überlebte nur, weil der besagte Nachbar in einer Hängematte im Garten schlief und zu gegebener Zeit, also nachdem ich plötzlich wieder nüchtern war, seine Hunde zurückrief.

Ansonsten ist nichts Spannendes passiert. Ich habe meinen ersten Heftroman gelesen und bin angenehm überrascht. Als Ente hat sich übrigens herausgestellt, dass der oder die Autorin auf einer geheimen Insel gefangen gehalten wird und bei Wasser und Brot diese Schundromane schreiben muss. Das haben wir herausgefunden, indem wir uns das einzig zur Verfügung stehende Kommunikationsmedium dieser armen Person genauer angesehen haben: den Heftroman selbst.

Wir konnten darin keine geheime Botschaft an die Leser ermitteln. Nicht einmal das Auszählen der Punkte und Ausrufezeichen am Ende einer Sinneinheit (gekennzeichnet durch einen kleinen Stern zwischen den Absätzen) und das Übertragen in einen Morsecode lieferten ein Ergebnis. Wir nehmen deshalb an, dass es der Person gut geht.

Uns geht es auch wieder gut. Meine defizitäre Ernährung, bzw. meine Spezialdiät habe ich am Sonntagabend bereits wieder umgestellt. Und seit Montagabend weile ich wieder zu Hause. In Kürze also wieder mehr.

Donnerstag, 15. August 2013

Unter Pilzen

Der Text ist leider länger geworden, als ich ursprünglich wollte und es ansonsten meiner Gewohnheit entspricht; ich versuche ja, die Texte nicht länger als eine Seite im Textprogramm werden zu lassen und bin da mein schärfster Kritiker. Nehmen Sie sich deshalb Zeit, es könnte etwas länger dauern.

Ich war gestern in den Pilzen. Ich habe meinen Freund Trithemius, kurz bevor ich die Tankstelle zum Auftanken des Wagens erreichte, angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich in genau einer Viertelstunde vor seiner Tür stehe, um ihn zum Pilzesammeln abzuholen. Ich sagte zu ihm, dass wir in die Pilze fahren. Was, fragte er und ich erklärte ihm das Ganze genauer. Er bezweifelte, alles fertig zu haben in einer Viertelstunde, was man vor so einer Fahrt in die Natur noch alles zu erledigen habe. Ich beharrte auf die Zeit und drohte mit Klingelsturm. Er legte auf.

Als das Tanken beendet war, drehte ich noch eine nutzlose Runde um den Block. Ich war zu früh. Um Punkt eine Viertelstunde nach dem Anruf klingelte ich bei ihm. Er grüßte durch die Sprechanlage, und sagte, er würde sogleich runterkommen. Er drückte außerdem den Türsummer und ich drückte die Klinke. Ich stand plötzlich vor seiner Wohnungstür, diese ging auf und Trithemius, völlig bekleidet, Haare gewaschen und gekämmt stand vor mir und wollte los.

Ob er ein Messer dabei habe, fragte ich ihn, denn ohne Messer, kann man ja die Pilze nicht abschneiden. Nein, wir suchten eins, nein, er suchte eins und ich gab von weitem Tipps, wie das Messer anatomisch geschaffen sein müsste. Wir einigten uns auf ein kleines Messer mit Klinge und Griff, es hatte noch nie zuvor einen Waldpilz abgeschnitten. Mein mitgebrachtes Messer war ebenfalls noch Jungfrau und so klapperten dann beide Messer vor Aufregung im Körbchen, während Trithemius und ich das Auto bestiegen und lossausten.

Ich erklärte ihm im Auto, dass wir nicht in irgendeinen Ort fahren, der so ähnlich klingt wie Pritzwalk, sondern dass ich tatsächlich gesagt hatte, wir fahren in die Pilze. Das ist Pilzlatein und bedeutet so viel wie, zum Pilze sammeln in den Wald zu fahren. Ich erwähne dies hier noch einmal ausdrücklich, weil Trithemius, mittlerweile in meinem Auto sitzend, ein wenig schief geguckt hatte bei erneutem Erwähnen dieses unter Pilzkennern allseits bekannten geflügelten Wortes. Ich markierte mein Revier und Trithemius konnte nicht weg.

Wir fuhren etwa eine Stunde, weil ich nach Gefühl fahre, nicht mit. Wir verfuhren uns nur einmal ganz kurz und erreichten die als Wegmarke im Gedächtnis verbliebene Tankstelle ohne weitere Zwischenfälle. Die Tankstelle war in meiner Erinnerung übrigens grün gewesen und in der Realität war sie jetzt blau, ich machte mir deshalb aber keine unnötigen Gedanken.

Ich erstand dort eine Tafel Schokolade und eine Flasche Wasser für uns und fand im Regal bei den Süßigkeiten einen sorgsam gefalteten 50 Euroschein. Nein, das Messer hatte ich nicht mitgenommen. Leicht beschwingt verließ ich die Tankstelle mit meinem Wechselgeld und lud Trithemius, der die Idee mit der Wasserflasche hatte, großzügig auf diese ein, als er mir schon eine Münze zustecken wollte.

Endlich. Wir waren angekommen in einem Wald, in dem Wald. Der Wald ist so beschaffen, dass ihn schmale, schnurgerade Kanäle durchziehen, die früher dazu benutzt wurden, das geschlagene Holz abzutransportieren. Im Grunde habe ich keine Ahnung, wieso da Kanäle durchgezogen sind, die obendrein auch kaum noch Wasser führen. Die Erklärung war aber schlüssig genug, um jeden zu überzeugen. Ich ließ auch gar nichts anderes zu, denn als sorgsamer Beobachter wusste ich aus früheren Begegnungen mit diesen Kanälen, dass das Wasser eine leicht rötliche Färbung hat. Ich bombardierte also den armen Mann sogleich mit so viel Faktenwissen, dass er keine Zeit mehr hatte, um über meine Erklärung auch nur ein Wort verlieren zu können. Der Eisengehalt des Wassers sei ziemlich hoch, deshalb der Rotstich. Das Wasser sei aber sehr sauber, das könne man an der Entengrütze (kleine Wasserlinse) erkennen, die dafür ein Indikator sei. Entengrütze gehöre übrigens zu den Aronstabgewächsen, dessen größte Vertreter gerne in botanische Gärten stehen und dort, wenn sie blühen, einen bestialischen Gestank verbreiten. Ich redete bis dahin und dann fiel Trithemius gotzeidank ein Roman ein, in dem es um das Aronvolk ging, ein Menschenschlag, der in Ritzen und Spalten von Riesen wohnte, die sich einen Teufel um sie scherten, weil sie so klein waren. Ich gab die Gesprächsführung ab und verhielt mich kurze Zeit still. Mein Latein war zu Ende.

Auch das andere Latein, das spezielle Pilzlatein, hielt nicht allzu lange vor. Noch während wir uns in den Wald schlugen und den Boden untersuchten, rief ich bereits, dass es hier nur so nach Pilzen röche. Pilzsammler, die etwas auf sich halten, riechen Pilze zehn Meilen gegen den Wind. Ich roch Pilze, fand aber nur einen vertrockneten Kahlen Krempling auf dem abgesägten Stumpf einer Fichte oder Kiefer oder Tanne oder so. Ich ging nicht nah genug heran, um mich von seinem Geruch zu überzeugen, der Beweis war ja schließlich mit dem Fund bereits erbracht. Wir stießen auf weitere Gesellen aus dieser Liga und ich erklärte lang und breit, dass diese Pilze nicht essbar seien, man sie lange kochen müsste, was nur die Russen machen, um ihn essen zu können und überhaupt, was für ein blöder Pilz das doch sei.

Ich bin als Kind einmal mit dem Fahrrad in den Kreuzhorst gefahren, ein kleines Wäldchen bei Sohlen in der Nähe von Magdeburg. Die Fahrt war so anstrengend, weil wir ja noch so klein waren, dass wir unbedingt etwas von dort mitnehmen wollten. Wir wollten etwas zu Essen besorgen, eine schöne kleine Subsistenzromantik.

Wir hatten zufällig ein paar Plastiktüten dabei und ein paar kleine Taschenmesser, mit deren Hilfe wir dann ein paar Säcke dieses unseligen Pilzes namens Kahler Krempling einsammelten und stolz wie Oskar unseren sprachlosen Eltern präsentierten. Die wiegelten ab und warfen die Pilze in die Tonne. Den geklauten Mais vom Feld nebenan warfen wir dann weg, nachdem wir ihn gekostet hatten. Es handelte sich um Futtermais, essbar zwar aber keineswegs süß, was unsrere Eltern zwar ebenfalls zu berichten wussten, wir aber nicht glaubten, weil wir ja schließlich eine Mission hatten. Seitdem sage ich immer, wenn meine Frau das Wort Mais erwähnt, dass Mais eine Futterpflanze sei und verweise auf Schweine, Kühe und Hühner, die sich von so etwas ernähren sollen. Sie rollt dann mit den Augen und beschwört die imaginäre Phrasenkasse, ich grinse nur blöd.

Naja, ich schwärmte weiter von Steinpilzcarpaccio und in Zwiebeln und Butter angebratenen Maronen, Pfifferlingen und Goldröhrlingen. Ich erwähnte natürlich auch die unter Pilzkennern geschätzte Krause Glucke, die ich zu finden hoffte. Ein überaus ergiebiger Pilz, der aussieht, als hätte ein Bär sein Badeutensil nach dem Regen im Wald liegengelassen: wie ein großer Schwamm. Wegen der schlecht zu bewerkstelligenden Reinigung dieses Pilzes schmeckt er häufig nach Sand, was wiederum der Pilzkenner niemals zugeben würde, ganz entgegen seiner sonst offenkundigen Beredsamkeit. Überhaupt verhält sich der Geschmack der Krausen Glucke reziprok zu seinem Vorkommen, er schmeckt umso besser, je weniger man davon hat.

So liefen wir geraume Zeit einträchtig nebeneinander her. Jeder palaverte von Dingen, wovon der andere definitiv keine Ahnung hatte, und wenn doch, so übersprang man das Thema schnell und wechselte in unbekannteres Terrain. Wir fühlten uns wohl. Wem diese Beschreibung der Umstände unseres Gesprächs nicht klar genug erscheinen, der möge bitte seinen James Thurber Erzählband aus dem Regal nehmen und die Geschichte „Der Bordstein im Himmel“ nachlesen, da wird genauestens erklärt, worauf es uns in unserem Gespräch ankam.

Dann fanden wir einen Kartoffelbovisten. Ich schnitt mit meinem Messer einen dieser Gesellen auf und erklärte, ganz der Pilzkenner, wenn diese innen weiß seien, könne man sie essen. Unser Fundstück war innen schwarz.

Leider, und um es kurz zu machen, wir fanden nicht einen einzigen Steinpilz. Wir fanden auch keine Pfifferlinge, keine Maronen und all die anderen Dinger, die in Butter und Zwiebeln angebraten so herrlich schmeckten. Wir fanden nichts weiter als ein paar Kartoffelboviste und Kahle Kremplinge.

Sonntag, 4. August 2013

Die dunkle Seite im Schach

Ich spiele Schach, im Internet. Ich spiele da nur so vor mich hin. Einen meiner Spielpartner kenne ich sogar persönlich, ich kenne sogar noch mehr, aber mit denen spiele ich gerade nicht. Diesen einen Spielpartner kenne ich sogar so persönlich, wie es persönlicher gar nicht mehr geht. Ich habe bei einem Besuch seine Stehlampe zerstört und mitten in der Nacht den Staubsauger ausgelöst. Wir haben zuvor in diversen Kneipen herumgepöbelt, die Zeche geprellt und weil meine Frau nicht wusste, wo ich überhaupt war, hat sie die Polizei informiert und eine Suche einleiten lassen. Ich lag, besoffen, auf dem Sofa meines Schachfreundes, das Schachbrett erst unter dem Kopf und später davor.

So war das damals. Am nächsten Morgen hat mich seine Freundin zum Bahnhof gefahren und ich kam mir vor wie der Anwalt eines abgehalfterten Sportreporters mit zu viel Grapefruit im Kofferraum. Ich weiß auch nicht, weshalb mich Schach immer so zu Höchstleistungen bringt. Ich bin ein höflicher junger Mann, der manchmal ein wenig vorlaut ist aber im Grunde seines Herzens völlig in Ordnung. Nur beim Schach und den Begleiterscheinungen, da ticke ich nicht mehr richtig. Dann hoppel ich im Rösselsprung von Fettnapf zu Fettnapf, trete Leuten auf die Füße und benehme mich ungehörig.

Deshalb habe ich mein Schachspiel auf das Internet verlegt. Emailschach, mit 7 Tagen Zeit pro Zug, da kann eine Partie schon mal ein halbes Jahr dauern. Ist mir recht, die Entschleunigung tut mir gut. Im realen Leben spiele ich dagegen kein Schach mehr, zu schnell, außerdem gibt es niemanden mehr, mit dem ich das noch machen kann, ich traue mich nicht, habe Angst vor Mr. Hyde, den Ausbrüchen, dem Unflat und meiner Zerstörungswut.

Aber selbst im Internetschach kann ich noch böse sein, nur die Software verhindert da schlimmeres. Ich spiele nämlich gern Schach 960 oder auch Fisher-Schach, nach dem größten Ar…, huch, Anarchisten wollte ich sagen, im Schach: Bobby Fisher ist diese Schachvariante benannt. Da stehen die Figuren hinter den Bauern immer wieder anders, auf nichts kann man sich verlassen, nur dass sie alle da sind.

Ansonsten läuft bei dem Spiel alles wie gehabt, nur bei mir nicht. Ich vollführte gerade eine höchst bedenkliche Rochade, weil mir mein Gegner das Ganze vorgemacht hatte und staunte noch über die entstandene Figurenkonstellation, als sich mein Zeigefinger über der Maustaste auf den Läufer senkte und ihn anklickte. Ich nahm die Maus mit zu seinem Läufer und wollte mit meinem aktivierten Läufer seinen schlagen. Ich war sehr erbost, dass mir das Programm im Hintergrund durch Misstöne und rosa Markierungen verständlich machen wollte, dass ich diesen Zug gar nicht machen dürfte. In meinen Augen war das absolut regelkonform. Mein Läufer stand in direkter Diagonale zu seinem Läufer, ich hatte mich mehrmals darüber versichert. Ich wollte auch diagonal schlagen, ich klickte und klickte es tönte und ich wollte schon eines dieser Tickets schreiben, die man an Admins schreibt, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt oder übergangen, in der Ehre verletzt oder aus Langeweile, weil man die Administratoren in den Büros immer beim Daddeln erwischt oder beim Tickets beantworten von dubiosen Webseiten. Ich war wirklich fast so weit. Und dann merkte ich es endlich: ich war gar nicht am Zug.

Sonntag, 30. Juni 2013

Abgenickt oder mein erster und letzter Besuch

Ich sitze gerade in einer Kneipe und mich beschleicht das Gefühl, dass mein kurz zuvor eingetroffener Nebenmann gleich ein Gespräch mit mir beginnen wird. Ich lese gerade in einem furchtbar absurden Roman. Mein Nebenmann ist höflich und ich ebenfalls. Ich gebe ihm mehrere Gelegenheiten mich anzusprechen, weil ich ständig von meiner Lektüre aufschauen muss, um mir das Gelesene noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Oben auf dem Bildschirm läuft gerade ein Potpourri der 80er, eine Videocollage aus themenbezogenen Schnipseln des letzten großen Jahrzehnts des letzten Jahrtausends, mal ein Haufen Kollisionen, dann Explosionen, dann Filmküsse usw. Ich bin abgelenkt, bemerke aber immerhin, dass mein Nebenmann noch keinen wirklichen Einstieg gefunden hat. Er ruft deshalb erst einmal den Wirt heran. Der sieht aus wie die Schildkröte bei Dittsche, also von der Statur her. Er ist Russe und hat, wie ich eben erfuhr, seit vorgestern seinen deutschen Pass. Unser Barmann kommt also rüber und mein Nebenmann bestellt eine Fritz Kola. Ich musste an den Kiezneurotiker denken. Als Gentrifizierungsgegner ist ihm der Fritz-Kola-Trinker zur persona non grata geraten. Ich höre einigermaßen auf und beobachte noch unbeteiligt aussehend das nun folgende Gespräch.

Mein Nebenmann bestellt also diese Kola und der Barmann sagt, er hätte sie nicht da. Er hat sie gar nicht im Sortiment. Er schlägt ihm aber daraufhin nicht vor, auf ein anderes Kolaprodukt auszuweichen, denn er besitzt durchaus eine auf der Karte, nein, er schlägt seinem Gast vor, stattdessen doch eine Fritz Melone zu trinken. Das macht er so geschickt, dass selbst ich als jahrelang geschulter Verkäufer von Großmöbeln nur staunend aufblicken kann. Er sagt nämlich dazu, die hat er im Keller, er geht jetzt sofort los und holt ihm eine davon hoch. Noch bevor sich mein Nebenmann überhaupt äußern kann – was mich natürlich überhaupt nicht wundert, denn ich weiß ja bereits, dass er nicht zu schnellen Entscheidungen neigt – ist der Barmann bereits auf dem Weg in den Keller, um wenig später mit einer Kiste voller Melonenbrause wiederzukommen, von der er eine sofort öffnet und sie vor meinem Nebenmann auf den Tresen stellt. Garantiert war das irgendein Restposten oder Werbegeschenk, was da sonst im Keller noch grüner geworden wäre.

Jedenfalls, mein Nebenmann schlürft jetzt grüne Melonenbrause aus einem schwarzen Strohhalm und hat endlich was gefunden, womit er mich ansprechen kann. Er nuschelt, so dass ich ihn kaum richtig verstehe, etwas von grünem Bier. Ich frage nach, er wiederholt. Er meint, mein Bier hätte ja auch einen leichten Grünstich. Ich sage ihm, das könnte am Logo auf dem Glas liegen, er bestreitet das und behauptet, es läge an der Farbe. Ich sage klar, an der Farbe von dem Logo, das da durchschimmert. Er nickt und fragt den Barmann. Ich drehe mich links weg und versuche einen ähnlichen Blickwinkel einzunehmen wie er. Aber das Bier wird nicht grüner. Ich sage, vielleicht ein ganz kleines bisschen. Der Barmann sagt, vielleicht wegen des Logos auf dem Glas. Er nickt meinem Nebenmann kurz zu. Da hatte ich also mein Gespräch.

Der Barmann kehrt an seinen Platz zurück, nicht ohne mir vorher einen vielsagenden Blick hinüberzuwerfen; zumindest bilde ich mir das ein. Dort an seinem Platz sitzt ihm ein Typ gegenüber, der, so habe ich aus dem Gespräch der beiden erfahren, ein wenig jünger ist als ich, lange Haare hat und wahrscheinlich Stammgast ist. Sie tauschen diverse Dinge miteinander aus, meist geht es um Musik. Dann kommt die Frau des Barmanns herein und schreibt mit einem Stift auf die Glastür zum Raucherraum: „Heute hier ist Geschlossene Gesellschaft“. Nach einigem Hin und Her äußere ich mich und erinnere an die Verbzweitstellung im Deutschen, und daran, dass entweder das Lokale oder das Temporale vor dem Verb stehen kann aber auf keinen Fall beides.

Der Barmann bringt mir ein neues Bier, weil ich eins bestellt hatte und fragt, ob ich mich damit auskenne. Ich sage, ja, ich studiere das. Der Barmann nickt mir kurz zu und kehrt an seinen Platz zurück. Die drei, also seine Frau, der Langhaarige und er, unterhalten sich plötzlich alle auf Russisch und sehen in unsere Richtung, also in meine und die meines Nebenmannes. Mein Nebenmann hat übrigens sofort einen Anlass gefunden und erkundigt sich bei mir nach dem Sitz unseres Instituts und ob die deutsche Sprache denn nun den Bach runterginge oder besser würde. Ich verneine das und verliere mich in Details, die ihn genauso wenig interessieren wie mich. Mein Buch habe ich demonstrativ zugeschlagen. Er stellt noch ein paar Fragen, ich antworte, bis ihm plötzlich nichts mehr einfällt und mein Bier alle ist, schon wieder. Ich beschließe zu gehen, weil mir die Situation langsam unheimlich wird. Ich komme mir schon fast vor wie ein Nebenmann und rede plötzlich auch so. Der Barmann sieht mein leeres Glas und schaut mich fragend an. Ich schüttele meinen Kopf und bin gerade in Begriff mein Buch im Rucksack zu verstauen, als ich mich rufen höre, ach, doch, eins nehme ich noch.

Der Barmann zapft schnell, stellt den Humpen vor mich hin und erläutert mir kurz wie erfreut er sei, mich doch noch auf ein Bier zu überreden. Ich sage ihm, wie Recht er doch hat und denke dabei an seine filmreife Darbietung mit der Melonenbrause meines Nebenmannes. Das irritiert ihn, weil er ja nicht weiß, was ich denke, und dann nickt er wieder. Jetzt bin ich der Nebenmann, auch deshalb weil mein Nebenmann rausgeht, um eine zu rauchen, denn der Raucherraum heute hier ist ja geschlossen. Eine Gruppe von Leuten kommt rein und peilt grob den Eingang zum Raucherraum an. Vor dem Monitor bleiben sie stehen und schauen sich Steve Mc Queen an, wie er in „Bullit“ in einem Ford Mustang die wohl längste Verfolgungsjagd der Filmgeschichte fährt. Ich weiß das und sage das auch noch laut. Die jungen Leute schauen sich um und nicken und gehen weg.

Ich lasse mich dazu hinreißen, auf das akzentfreie Deutsch des Langhaarigen zu verweisen, woraufhin mir der Barmann erklärt, der wäre schon seit Jahrzehnten hier in Deutschland. Der Langhaarige spricht nicht zu mir, nickt nur. Um weiter im Geschäft zu bleiben, frage ich, ob er, der Barmann, nicht das Wort „Kwass“ kenne. Ja, kennt er. Das sei ein Getränk, das gab es in gelben Wagen, die mittlerweile verboten worden sind, wegen der Hygienebestimmungen. Kein Kwass mehr, frage ich noch einmal nach. Er nickt nur, als ich noch einmal nachhake und ihm von dem Umstand erzähle, dass früher auf eine Leninstatue zwei Kwasswagen gekommen wären. Das hätte mir jemand berichtet, der 5000 Kilometer durch die Sowjetunion zurückgelegt hätte. Und, um das noch zu toppen, berichte ich auch noch von dem Verhältnis von Stalinstatuen zu Kwasswagen in Georgien, das bei 1:1 lag.

Er nickt schnell und heftig und lächelt und will nur noch zurück in seine Ecke. Ich habe ihn angezählt, dann setze ich nach und frage eine Frage. Nämlich ob Kwass mit Alkohol sei. Sein Blick geht fragend an die beiden anderen und sie schütteln den Kopf, nein sagt er. Er taumelt jetzt und rettet sich ans andere Ende des Rings, weil die jungen Leute endlich was bestellen wollen. Mein Nebenmann kommt gerade wieder herein, als ich meine Biere bezahlt habe und schleunigst verschwinden will. Mein Nebenmann ordert eine zweite grüne Flasche und atmet einen dieser ganz tiefen Lungenzüge, die man braucht, um richtig loszulegen. Ich trollte mich, das Terrain war verbrannt.

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