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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Astrid Lindgren: Kalle...
Astrid Lindgren: Kalle Blomquist lebt gefährlich, Verlag...
Shhhhh - 28. Mai, 20:30
Fich
mit Michgemüse.
Lo - 2. Jun, 00:20
Er
meinte Fich. ...tennadelsarg. Twodays Beerdigung.
pathologe - 1. Jun, 08:21
Fisch?
Ich riech' nix. ;-)
Lo - 1. Jun, 07:37
Tschüß
...und danke für den Fisch.
Shhhhh - 1. Jun, 06:45

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Freitag, 15. Januar 2016

Meine Haare

Immer häufiger, wenn ich abends vorm Spiegel stehe und mir die Haare aus der Stirn streiche, fallen mir dabei ein paar Haare aus. Die liegen dann im Waschbecken wie gefallene Kameraden, bevor ich sie mit dem Wasserstrahl ins Jenseits befördere.

Außerdem ist da dieses kleine Härchen, oft hoffnungslos zerknickt und verzottelt, halb so lang wie die übrigen Haare, einsam auf weiter Flur inmitten der größer werdenden Geheimratsecken und steht seinen Mann. Da inspiziert der kleine Napoleon die Schlachtreihe und versucht die Moral der Truppe aufrecht zu erhalten, bevor es in die finale Schlacht geht, denke ich. „Ruhe im Glied!“, ruft er und kann sich selbst kaum gegen meine Hand erwehren. Nur weil er so klein ist, entgeht er meiner oft geübten Geste.

Früher trug ich die Haare ja nicht in der Stirn, da trug ich sie nach hinten weg. Da waren die Geheimratsecken keine Ecken, sondern Eckchen. Wenn ich zum Friseur kam, wurde am Schluss noch eine stumpfe Schere genommen und großflächig ausgedünnt. Sehr feines Haar und unheimlich viel. „Mann, sind das viele!“, sagte mal ein Friseur. Da war ich richtig stolz drauf.

Kurz bevor es zu spät war, trug ich sogar noch ein einziges Mal einen Pferdeschwanz. Schulterlanges, leicht gewelltes Haar, in straßenköterblond. Die Eckchen waren schon zu Eckerchen angewachsen, mokierten sich über meinen Stil und krochen dabei langsam aus ihrem Versteck. Eckerchen wie Meckerchen, das Haar in der Suppe.

Als ich noch ein kleiner Junge war, stand ich in weinerlichem Ton vor dem Spiegel und wollte nicht in den Kindergarten, weil ich einen Stietz hatte. Wenn man so wie ich mehr als einen Wirbel am Hinterkopf trägt, konnte das schonmal vorkommen, dass sich so ein vorwitziger Rekrut in Richtungen verabschiedete, die für das Heer nicht vorgesehen war. „Ruhe im Glied!“, hätte ich dann am liebsten gebrüllt aber es kam nur ein Fiepen mit ein paar Tränen und vielleicht ein kleines Stämpferchen mit dem rechten Fuß. Gegen diese Deserteure war kein Kraut gewachsen, da half keine Spucke, selbst die von Mutti nicht, kein Kämmen und kein Zuckerwasser. „Setz‘ doch ´ne Mütze auf“, sagte dann meine Mutter und für sie war alles geklärt.

´Ne Mütze! Als ich beim Bund war, kurze glattgekämmte Haare trug, schwarz gefärbt inklusive schwarzem Hautrand, weil selbstgemacht, da hatte ich ´ne Mütze. Tarnfleck und mindestens zwei Nummern zu klein. Wenn ich die abnahm, trug ich danach immer noch Mütze, weil sich darunter ein Vogelnest gebildet hatte, dessen Rand den ehemaligen Rand der Mütze markierte. Der ging tagelang nicht weg. Da hat man am Wochenende frei und kommt nach Hause und hat immer noch Mütze auf. Nicht umsonst erinnert der Gruß beim Militär ans Mütze lupfen. Nur dass ich eben keine aufhatte.

Nee, ein Mützentyp bin ich nicht, werde ich wohl auch nie sein, obwohl mir der Wind jedes Jahr kälter vorkommt. Vom Klimawandel hat mein Schädel noch nichts mitbekommen. Wenn´s mir zu bunt wird, trage ich Kapuze.

Irgend so ein Komiker hat mal Ende der Neunziger einen Witz in seinem Programm gehabt, dass ihm das Haupthaar ausfiele und auf dem Rücken wieder anwachse. Wie ich da gelacht habe. Jetzt lache ich nicht mehr. Zupfe mir die Haare vom Rücken. Aus den Ohren. Vom Ohrläppchen. Aus der Nase. Aber Bart? Fragen Sie bloß nicht danach!

Donnerstag, 14. Januar 2016

Auslese

Gestern habe ich einen Teil meiner vom Korrekturlesen zurückerhaltenen Masterarbeit bearbeitet, mit Bleistift, weil ich im Theater am Arbeiten war und nicht zu Hause am PC, da fiel mir ein Ausdruck auf, den ich wohl aus einer anderen Arbeit einfach so übernommen habe. Nicht nur einmal, sondern mehrmals.

Es handelt sich dabei lediglich um ein Wort, von einem Plagiat zu sprechen lohnte sich also nicht, nur merkwürdig erschien es mir trotzdem, weil es sich nach mehrmaliger Lektüre plötzlich falsch anhörte. Es ging um das Verb selegieren, was nichts anderes bedeutet als auswählen. Das Substantiv dazu nennt sich Selektion, weshalb auch selektieren nicht falsch wäre. Theoretisch ginge sogar seligieren, denn es geht, soweit ich weiß, auf lat. seligere zurück.

Was macht man denn mit so einer Vokabel? Mit solchen Vokabeln?

Dienstag, 12. Januar 2016

Paar Nummer eins

Das ist mein Beitrag zum Projekt "Kleider machen Leute"vom Wortmischer. Ein Beitrag für den Buchstaben T wie Turnschuhe oder T wie alte Treter. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht!




Ich besitze ein paar Turnschuhe, die ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr trage. Insgesamt sind es drei Paar. Das Jüngste davon kam dem Original meines persönlichen Geschmacks sehr nahe, welches mein zweites Paar darstellte. Das älteste Paar Turnschuhe von diesen dreien ist mir allerdings nicht nur deshalb ans Herz gewachsen, weil es die zwei jüngeren „nur“ überlebte, sondern weil ich es außerdem bis letztes Jahr auch noch getragen habe. Alle drei Paar sind mittlerweile zerschlissen, das älteste jedoch hat am längsten gehalten.

Als ich mir das Paar gekauft hatte, ging ich noch zur Schule. Ich hatte einen Nebenjob oder auch zwei, genau kann ich das nicht mehr sagen, es liegt knapp 20 Jahre zurück. Meine Füße waren zu diesem Zeitpunkt ausgewachsen; zu einem ordentlichen Latschen. Das Paar erstand ich im Schlussverkauf, es war eine Nummer zu groß, und ich kaufte die Schuhe von meinem eigenen Geld. Ich musste zum ersten Mal nicht mit meinen Eltern darüber verhandeln, was Schuhe kosten dürfen, sondern nur mit mir ausmachen, ob ich mir die Schuhe leisten könnte. Konnte ich mir gerade so eben. Sie haben mehr als 100 Mark gekostet, vielleicht sogar 200 oder 150, ich weiß es nicht mehr. Für mich war das sehr viel Geld und für andere kein schönes Paar Schuhe, wo doch die Treter erst richtig gut waren, wenn sie 250 oder 300 kosteten, von Puma oder Adidas waren. Ich kaufte dieses Paar New Balance.



Danach hatte ich einen weiteren Nebenjob im Ratskeller in Magdeburg, wo ich diese Schuhe trug. Überhaupt trug ich diese Schuhe überall und immer. In der Schule, in der Freizeit, auf der Arbeit. So ging das Jahre. Es kamen einen Menge anderer Schuhe dazwischen, schöne Schuhe, Halbschuhe, Winterschuhe, Echtlederschuhe, auch andere Turnschuhe, aber immer wieder trug ich dieses eine Paar. Die anderen Schuhe kamen und gingen, das waren mittlerweile meine guten Schuhe, die ich immer und überall trug, während dieses eine Paar, Paar Nummer eins, plötzlich zu Arbeitsschuhen wurde. Und als ich sie nicht einmal zur Arbeit tragen konnte, weil ich dort mittlerweile auf Hochglanz polierte schwarze Halbschuhe trug, degradierte ich sie zu Schuhen, die ich auf Wohnungsumzügen, bei Streicharbeiten, bei Gefälligkeitsarbeiten von Freunden trug.

Als ich dann zu studieren anfing, holte ich sie wieder hervor und verbrachte damit so manche Schicht am Strandleben. Dabei fiel dann auch irgendwann die erste Lasche ab, links, man sieht es ganz gut auf dem Foto. Die rechte Lasche hängt noch, der Kleber hat sich am Rand etwas gelöst, aber im Grunde ist sie noch fest. Man sieht auch ganz gut die vielen Farbspritzer darauf, das kaputte Innenfutter.

Diese Schuhe mussten für die wirklich dreckigen Jobs herhalten. Meistens jedenfalls. Eine Zeitlang hatte ich sie völlig vergessen, als das Paar Nummer zwei plötzlich da war. Damit war ich in Kolumbien und bin durch das kniehohe Wasser des Atlantiks gewatet. Damit habe ich meine erste eigene Küche gebaut, die heute noch immer steht, dreimal umgebaut und umgezogen. Nur die Schuhe haben den Aufbau der ersten nicht überlebt. Beinahe hätte ich mir den Fuß abgesägt, streifte glücklicherweise nur das Futter des linken Schuhs, danach war es eine Sandale. Es war wieder Zeit für mein altes Paar.

Das dritte lief ich einfach kaputt, die Sohle brach und machte daraus einen Schönwetterschuh. Als sie abbrach und nur noch auf dem Innenfutter lief, holte ich Paar Nummer eins wieder hervor, bis das nächste Paar kam. Schuhe werden bei mir nicht alt, ein Jahr, maximal zwei; und dazwischen trug ich immer das Paar Nummer eins.

Als wir letztes Jahr in unsere neue Wohnung gezogen sind und ich fast 6 Wochen renoviert habe, sind sie mir endgültig kaputt gegangen. Die beiden Luftpolster hinten brachen auf, eins nach dem anderen. Als hätten sie sich abgesprochen, dass nun aber wirklich Schluss sei. Meine Turnschuhe, meine alten Treter, mein Paar Nummer eins.

Montag, 11. Januar 2016

Die Woche in Snippets - Stichwort Fahrrad

Vielleicht wurde uns ein Rad gestohlen. Ich will bis jetzt nichts unversucht lassen, solange nicht klar ist, ob ich das Fahrrad nicht in meinem Schussel irgendwo habe stehen lassen. Seit zwei Stunden weiß ich nun davon und überlege die ganze Zeit, wie ich herausfinde, wo ich das Fahrrad denn zuletzt benutzt und dann stehenlassen haben könnte.

Vielleicht steht es bei Herr Putzig, den ich letzte Woche am Samstag besucht hatte und den ich in immer noch akzeptablem aber nicht mehr nüchternem Zustand verlassen habe. Ich weiß, wie ich nach Hause kam, zu Fuß. Deshalb könnte es ja sein, dass das Fahrrad dort steht. Herr Putzig geht nicht ans Telefon. Herr Putzig ruft zurück und sagt mir, dass vor seiner Haustür kein Fahrrad zu sehen ist. Mir ist in der Zwischenzeit eingefallen, dass ich auf dem Hinweg ebenfalls zu Fuß war, also kein Rad dabei hatte.

Vielleicht könnte ich es an der Faust stehen lassen haben. Um das restlos aufzuklären, um alles zu erklären, wie es kommt, dass ich mich dort herumtreibe, müsste ich sehr weit ausholen. Ich kürze ab: am Kulturzentrum Faust e.V steht das Rad nicht, weil der einzige Tag, an dem es dort offensichtliche Berührungspunkte gab, war ich zu Fuß, mein ältester Sohn ist Zeuge.

Vielleicht steht das Rad am Spandau. Eine höchstwahrscheinliche Angelegenheit, denn am Dienstag musste ich das Auto nach vollbrachter Arbeit an der Faust abstellen. Es könnte also sein, dass ich mit dem Rad hingefahren bin und es dort einfach vergessen habe. Wenn ich da nicht ein paar eindrückliche Erinnerungen an eine Busfahrt hätte. Ich bin mir sehr unsicher, auch weil der Weg zum Spandau der gleiche ist wie zur Uni, bzw. Bibliothek und ich dort häufiger zu Gast bin, um Bücher vorzuzeigen und zu verlängern oder Bücher zurückzugeben.

Das Wetter an dem Tag könnte entscheidend sein, denn wenn es furchtbar kalt war, bin ich bestimmt mit dem Bus gefahren. Ich suche also nach einem Wetterbericht für Hannover vom 05.01.2016. Ich bekomme nichts. Sobald ich ein Suchergebnis anklicke, aktualisiert sich die Datumsangabe auf den heutigen Tag. Ich muss mit dem Textauszug in den Suchergebnissen, dem sogenannten Snippet, vorliebnehmen, und bekomme heraus, dass die Tiefsttemperatur bei -6° Celsius gelegen hat. Der Snippet endet vor der Höchsttemperatur. Mist.

Ich rufe im Spandau an. Vielleicht ist jemand da, den ich kenne, der mir kurz sagen kann, ob ein solches Fahrrad, wie wir es besitzen bzw. besaßen, davor auf dem Bordstein geparkt ist. Das kann man von der großen Panoramascheibe aus sehen. Es ist niemand da, den ich kenne. Ich kriege also nicht einmal ein Snippet. Ich werde hinfahren müssen – mit dem Bus.

Sonntag, 10. Januar 2016

@noreply

Sehr geehrter Herr (Frau?) Noreply,
leider konnte ich Sie nicht erreichen,
in Ihrem Postfach war kein Platz mehr frei.
Vielleicht fehlt aber auch ein Zeichen
in Ihrer Adresse. Jedenfalls lese ich
mit wenig Interesse Ihre Mails und frage mich,
ob es nicht möglich sei, dass Sie, was mich betrifft,
meine Anschrift besser streichen aus Ihrer Kartei.

Samstag, 9. Januar 2016

schöneswochenende

heuteisteinfastschönertagichkonntebisfastsechsuhrschlafenunddannnochzweieinhalbstundendösendverbringenbisichmichindenkeller
zurückzogumdortholzfürdenkaminzusägendanachfuhrichzumwertstoffhofundüberbrachtenichtverfeuerbareresteanalte
bekanntedenenichgesternschoneinschöneswochenendegewünschthattejagesternwarichdortebenfallszugangebrachtepapierund
gelbesäckemitundzweikalenderfürdasneuejahrwasdieleutedortbesondersfreuteweilichvorgeraumerzeitschonünkündigenmusste
dasseskeinekalendergebenwirdgabesdannaberdochweilsicheinerderbeidenchefserbrarmteundnochwelchedruckenließ

danngabesmittagessenichwareinwenigspätdrandasmachteabernichtsichhängtekurzezeitspäterdiewäscheaufundfuhrerneutzum
wertstoffhofnachdemdiekinderimbettwarenbeidertourdavordachteichschondassesdieletzteseinwürdeundwünschtedeshalberneut
einschöneswochenendesodassichfürdieseswochenendeinsgesamtsogardreimaleinschöneswochenendegewünschthabeweilichnatürlich
beiabreisenocheinmaleinschöneswochenendewünschtealsowenndaskeinschöneswochenendewirdweißichauchnichtmehrweiter

Freitag, 8. Januar 2016

Die neuneuhochdeutsche Diphthongierung

Heute befassen wir uns einmal mit dem Lautwandelphänomen, welches in der Fachsprache Diphthongierung genannt wird. Um es noch ein wenig genauer zu formulieren: mit der neuneuhochdeutschen Diphthongierung. Die neuneuhochdeutsche Diphthongierung darf nicht mit der neuhochdeutschen Diphthongierung verwechselt werden, die einerseits viel früher stattfand und außerdem ein viel breiteres Spektrum an Vokalen umfasste, als es bei der neuneuhochdeutschen Diphthongierung der Fall ist – jedenfalls sind aufgrund verschiedener anderer Probleme, mit denen sich die moderne Sprachwissenschaft heutzutage auseinanderzusetzen hat, noch nicht so viele Beispiele belegt. Die gendergerechte Sprache frisst derzeit viele Ressourcen, weshalb so manch anderer Zweig leider sträflich vernachlässigt wird.

Aber diesem Umstand tragen wir heute Rechnung und fügen der neuneuhochdeutschen Diphthongierung eines der bemerkenswertesten Beispiele bei. Doch zuallererst muss geklärt werden, worum es sich denn bei der Diphthongierung überhaupt handelt. Diphthonge sind Vokale, die aus zwei Vokalen bestehen, die im Idealfall nicht die gleichen sind. Häufig sind damit Umlaute wie ä,ö,ü gemeint, aber auch au, ei und eu gehören in diese Gruppe. Ein immer wieder beobachtetes Phänomen ist hierbei die sogenannte Verschiebung ehemaliger Langvokale zu diesen sogenannten Diphthongen. hier ein paar Beispiele:

aus dem mittelhochdeutschen mîn (i:, also ein langes i) wird ein mein (ei=Diphthong)

aus dem mittelhochdeutschen hûs (u:, also ein langes u) wird ein Haus (au=Diphtong)

Diese Diphthongierung ist für das Mittelalter durch etliche schriftliche Zeugnisse belegt. Sie nahm im 12. Jahrhundert ihren Ausgang und ist längst abgeschlossen. Deshalb wurde die neuhochdeutsche Diphthongierung um die neuneuhochdeutsche Diphthongierung ergänzt. Normalerweise lassen sich die Forscher mindestens 500 Jahre Zeit, bis sie sich solchen Phänomenen widmen – Jacob Grimm hat sogar mehr als 600 Jahre verstreichen lassen – allerdings sind richtungweisende Einzeluntersuchungen durchaus schon früher angebracht, um nachfolgenden Forschergenerationen ein hinreichendes Material zur Unterfütterung ihrer Thesen zu liefern. Dies erfolgt hiermit.

Mit dem Abklingen der Aufklärung setzte, wie es in vielen Bereichen der gesellschaftlichen Entwicklung nachweisbar ist, eine Verklärung ein, die im sprachlichen Diskurs häufig mit dem Begriff der Romantik gleichgesetzt wird. Im politischen Diskurs z.B. folgte auf die Revolution die Restauration, das Beispiel sei hier angefügt, um den gesamtgesellschaftlichen Kontext, um den hier geht, noch einmal ausdrücklich zu betonen. Diese Verklärung hatte zur Folge, dass vieles, was als alt und rückständig galt, plötzlich unter einer rosaroten Brille betrachtet wurde und sich sehnlichst zurückgewünscht, mindestens aber glorifiziert wurde.

Die Verklärung, um die es uns heute geht, ist die Verklärung des Mittelalters, seiner Mystifizierung und Glorifizierung, die bis heute ungebrochen scheint. Scheint, denn im sprachlichen Kontext gibt es bereits erste Zäsuren, die auf ein baldiges Ende schließen lassen. Spätestens wenn die nächsten Atombomben gefallen sind, werden Mittelalterfeste und die darauf stattfindenden Spiele so unmittelbar in unser Handeln rücken, dass wir das „Spielen“ wohl dem eigenen Überleben zuliebe unterlassen – aus Spaß wird Ernst, sozusagen. Aber wir sollten die Dinge nicht allzu schwarz sehen, auf Verklärung folgt auch immer wieder eine Phase der Aufklärung, auf dunkel folgt hell, auf Restauration Revolution.

Doch zurück zu unserem Beispiel. Es geht um mystische Wesen wie Drachen, Zwerge und Feen, die in der Romantik eine zweite Konjunktur erlebten. Insbesondere die Feen sind hier zu nennen, denn sie sind sozusagen der Stein des Anstoßes all unserer Überlegungen.

Wie bereits erwähnt, ist deren Aufkommen in der Romantik stark angewachsen, geht allerdings bei genauerer Betrachtung bereits wenige Jahrzehnte später bereits wieder zurück und macht Platz für Neues. Dies hängt vor allem mit der industriellen Revolution zusammen, die hier in weiten Teilen Deutschlands einsetzt und deren Restauration noch immer nicht überwunden ist (man bedenke nur die Entwicklung des Verbrennungsmotors).

Sprachlich schlug sich dies wie folgt nieder:

aus dem romantischen Feenstaub (e:, also ein langes e) wurde der Feinstaub (ei=Diphthong)

Ich hoffe, ich konnte den geneigten Lesern hiermit ein profundes Beispiel neuesten Sprachwandels nahe bringen. Beim nächsten Mal befassen wir uns mit der sogenannten Polyphthongierung und klären die Herkunft des allseits bekannten Ausrufes aua.

Mittwoch, 6. Januar 2016

Norman Price stirbt bei einem Motorradunfall

Ich bin Masochist in TV-Fragen oder ein Mündel der Einfalt. Ich hatte doch heute für einen ganz kleinen Augenblick eine ganz große Hoffnung. Obwohl ich erst am Wochenende mit dem zweiten Teil der Tatort-Reihe restlos bedient gewesen sein sollte, ausreichend versorgt bis mindestens Mitte des Jahres, habe ich mich heute aus Versehen schon wieder vor den Fernseher gesetzt und einen Krimi geschaut. Was soll man auch machen, wenn man alte Bekannte trifft, den alten Robert Atzorn, einst Tatort-Kommissar in Hamburg und nun als Fast-Pensionär auf den Spuren eines 16 Jahre zurückliegenden Verbrechens in einem Kaff im oder am Moor.

Der Krimi war lahm, langweilig, vorhersehbar. Da gab es eine Szene, in der war nur kurz eine Schere zu sehen und schon wusste ich, dass sich die Frau im nächsten Augenblick die Haare abschneiden wird, da fielen schon die ersten Strähnen. Hätte die Diele geknarzt, als der alte Polizist seine Tochter ausschnüffelt, während sie im Hintergrund ihren großen Auftritt plant, um sich für immer zu entlasten, dann hätte ich jedes Detail vorhergesagt, das mir aufgefallen ist. Die Diele knarzte nicht. Aber die Szene machte die Tochter ihrem Vater.

Am Ende gab es plötzlich Bewegung, das kennt man ja. Da taucht plötzlich jemand auf, entdeckt zufällig ein Detail, Widersprüche, man verheddert sich und schon ist der zweite Mord geplant, im Moor wie der erste. Nichts deutet auf die Tochter, die es eindeutig gewesen ist – der Fernsehzuschauer war ja live dabei. Und für einen kurzen Augenblick freute ich mich diebisch. Sollte sie vielleicht davon kommen? Könnte mir dieses völlig ungerechte Ende – immerhin hatte sie ja damit schon zwei Frauen auf dem Gewissen – darüber hinweghelfen, ansonsten meine Zeit verschwendet zu haben? Damit, dass die Frau entkommt und niemand etwas merkt? Sie womöglich noch ihren alten Liebhaber abstaubt, deren beider Flammen sie zuvor getötet hatte? Oh ja! Das hätte mich für so manches entschädigt. Ich hätte mir jeden dummen Fernsehkrimi, den ich in meinem Leben gesehen habe, verziehen.

Wenn ich hin und wieder mit meinen Kindern eine Folge Feuerwehrmann Sam schaue, stelle ich mir manchmal vor, wie etwas total schief geht, jemand ertrinkt oder in den Flammen stirbt. Nicht weil ich meine Kinder solchen Kram ausgesetzt sehen möchte, nein, einfach so für mich. Wieso kann nicht mal jemand eine Folge Feuerwehrmann Sam für Erwachsene drehen, die ich mir dann heimlich anschaue, die mich für den ganzen Schwachsinn entschädigt? Bei der der nervige Norman Price eine richtige Packung kriegt, ein Motorrad klaut und sich damit lang macht, ein Bein verliert oder ein Auge oder eben stirbt? Oder wo Hauptfeuerwehrmann Steele einen Fehler macht und Jupiter, das Feuerwehrauto, komplett schrottet?

Heute sah ich den kleinen Maulwurf. Dem grub ein Roboter einen Tunnel bis an den Strand. Dort badeten er und seine Freunde zusammen im Meer. Dann kam ein Hai und fraß den Hasen auf. Hier hätte der Film für Erwachsene enden können. Die Kinderversion ging natürlich weiter. Der Roboter fing den Hai ein und schüttelte ihn so lange, bis er den Hasen wieder ausgespuckt hatte, dann warf er den Hai ins Meer zurück. Das sind immer noch sehr schöne Trickfilme, die ich selber schon als kleiner Steppke geguckt habe und mir immer noch gern ansehe.

Aber manchmal, an Tagen, an denen ich eine Überdosis heiler Welt im Fernsehen genieße, da wünschte ich mir hin und wieder eine ganze Schar alternativer Enden, die plötzlich das Böse gewinnen lassen, die Mörder davonkommen, die den Rundfunkanstalten tonnenweise Schmähbriefe und ein ehrlich gemeintes Lob einbringen würden. Ich würde es sogar per Post schicken, in einem Umschlag, den man unter Tausenden von Briefen erkennt, überfrankiert, per Einschreiben mit Rückschein und einem Vermerk auf der Front: LOB! Bitte, nur einmal!

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