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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Astrid Lindgren: Kalle...
Astrid Lindgren: Kalle Blomquist lebt gefährlich, Verlag...
Shhhhh - 28. Mai, 20:30
Fich
mit Michgemüse.
Lo - 2. Jun, 00:20
Er
meinte Fich. ...tennadelsarg. Twodays Beerdigung.
pathologe - 1. Jun, 08:21
Fisch?
Ich riech' nix. ;-)
Lo - 1. Jun, 07:37
Tschüß
...und danke für den Fisch.
Shhhhh - 1. Jun, 06:45

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Schulalltag in der DDR I

Dass das soviel Arbeit machen kann, hätte ich nie gedacht. Meine Interviewpartnerin ist meine ehemalige Deutsch-, Geschichte- und Sozialkundelehrerin. Ich habe sie ausgewählt, weil sie für das Referat, wo ich dran beteiligt bin, eine gute Gesprächspartnerin bildet - nicht nur wegen ihres etwas verqueren Lebenslauf, sondern auch wegen ihrer Unterrichtsfächer. Geschichtslehrer in der ehemaligen DDR gewesen zu sein und das auch darüber hinaus, ist nicht vielen gelungen. Die Gründe dafür ergeben sich schon fast gänzlich aus der ersten Frage, die ich ihr stellte.
Wie sah Ihr eigener Werdegang in der DDR aus? Beginnen Sie mit der Schulausbildung bis zum Abitur und dem anschließenden Hochschulstudium. Gab es dabei bestimmte Hürden zu nehmen und wenn ja, wie sahen diese aus?
Also ich komme aus einem christlichen Elternhaus, bin in einem Arbeiterviertel von Magdeburg geboren. In diesem Arbeiterviertel lebten natürlich auch viele Arbeiter, die sich nach dem Krieg dem neuen System, das ja proletarierfreundlich war, auch angepasst haben, so dass solche Kinder wie ich durchaus als exotisch galten und sich in der Schule auch zurückhalten mussten. Und das tat man dann instinktiv und dann hatte man seine Ruhe. Als ich eingeschult wurde, war der Christenlehreunterricht noch fester Bestandteil des Stundenplans und ich denke, das hat die Voraussetzungen geschaffen, dass ich trotz meiner Herkunft nur mit meinen Fähigkeiten etwas erreichen konnte – also leichter als zum Beispiel nach 1971 als sich die DDR fest etabliert hatte.
Meine Eltern waren Angestellte. Es gibt sonst niemanden, auch meine Geschwister nicht und in Wirklichkeit hätten womöglich in anderen Gesellschaftsordnungen in Deutschland meine Eltern es nicht geschafft ein Kind diese Laufbahn gehen zu lassen. Da war wieder der Vorteil, dass die DDR das Geld nicht zurückhielt, wenn jemand kam, der nicht sofort konform wirkte. Das lief also ganz ruhig ab. Ich war dann auch „prädestiniert“ auf das Gymnasium zu gehen, mein Vater allerdings wurde dann gelähmt. Aufgrund dessen disponierte meine Familie anders. Das kam nicht von oben. Ich sollte nun die 10. Klasse beenden, dann in eine Berufsausbildung mit Abitur gehen. Diese Möglichkeit gab es, heute sagt man wahrscheinlich dritter Bildungsweg dazu.
Das lief dann genauso locker ab. Ich habe also dann auf Wunsch meines Vaters Kaufmann gelernt, obwohl das nicht unbedingt mein Traum war, habe mein Abitur absolviert, meinen Kaufmann, sodass ich damit immer Geld verdienen konnte, wenn ich keines hatte, zum Beispiel Abschlussbilanzen in großen Betrieben. Das wurde noch alles mit dem kopf gemacht, es gab ja keine Computer, was dem Verstand ja nicht geschadet hat.
Aufgrund der kaufmännischen Ausbildung, vielleicht und meines schon immer vorhandenen Faibles für Geschichte – das gehört ja zusammen, Ökonomie und Geschichte – habe ich mich dann entschieden, Geschichte zu studieren, was man mir in Leipzig empfohlen hat, weil mein Traum nicht mehr zu verwirklichen war – angeblich waren die Plätze im germanistischen Seminar alle vergeben. Heute, wo ich alt bin und zwei Systeme erfahren habe, möchte ich sagen, man musste von der Herkunft her koscher sein, um Germanistik studieren zu können, denn es existierte ja eine Zensur, das hatte ich bis dahin noch nicht so richtig begriffen, weil es mir so im Großen und Ganzen nicht schlecht ging. Das heißt also, ich wurde in Wirklichkeit zu keinen Dingen gezwungen in politischer Hinsicht, das darf man aber nicht als positiv bewerten, es hängt immer alles von den Menschen ab, mit denen man lebt. Und bis dahin war ich mit Lehrern verbunden, die der individuellen Entwicklung Raum gaben, trotz der ideologischen Zwänge. Es zählte in meiner Entwicklung vor diesen Menschen immer die Fähigkeit, da hatte ich vielleicht auch Glück.
Das Germanistikstudium wurde demzufolge nichts, am gleichen Tag habe ich mich dann für das Geschichtsstudium entschieden, da auch die Aufnahmeprüfung bestanden und als Studienrichtung Neuzeit, d.h. ab den großen Entdeckungen durch Christoph Columbus. In der marxistischen Geschichtswissenschaft hat man ja so eingeteilt, teilweise wird es heute aber auch noch benutzt. Da studierte ich dann zwei Jahre in Leipzig an der Uni. Es hat sehr viel Spaß gemacht, es war eine unheimlich offene Atmosphäre. Dann kam die Hochschulreform, ich glaube 1972, wir haben uns nicht vorstellen können, dass es in der DDR eine Reform geben kann und haben das nicht so ernst genommen. Dann bekamen wir jedoch neue Studentenausweise, auf denen nicht mehr draufstand „Geschichte der Neuzeit“, sondern „Wissenschaftlicher Kommunismus/Geschichte“. Das gefiel uns nicht. Wissenschaftlicher Kommunismus wurde plötzlich ein Fach, pflichtgemäß gelehrt. Wir habe das in Wirklichkeit nicht als Wissenschaft angesehen. Natürlich, das gebe ich zu, mit dem Gedanken des Kommunismus kann man sich rein logisch und argumentativ anfreunden, wenn man mit der „Teilerei“ zufrieden ist. Als Unterrichtsfach war das für uns kaum zu akzeptieren. Wir hatten sowieso schon die Fächer Philosophie und Ökonomie, in beiden musste ein Staatsexamen gemacht werden, also schriftliche und mündliche Prüfung. Das war die reinste Propaganda. Es gab große Unruhen an der Universität, weil die Studenten das nicht wollten. Ich kann heute nicht mehr sagen, wie sie es geschafft haben, uns zu besänftigen. Man hat dann Events gestaltet, unter anderem sollte Fidel Castro vor den Studenten über sich und Ché Guevara sprechen. Dann kam aber ein anderer Kubaner, weil es Fidel angeblich nicht so gut ging an diesem Tag. Irgendwie verliefen die Proteste dann im Sande. Und damit hat man uns vielleicht betäubt, es wirkte international und offen. Man vergaß im Endeffekt die Mauer und auch der Studentenausweis rückte in den Hintergrund. In Wirklichkeit hätten wir durchhalten sollen, das war eine Frechheit.
Dann kam es bei mir persönlich zu einem Einschnitt, ich hatte schon mein Diplomthema, das war ganz toll. Ich konnte mir aussuchen die Entwicklung des Proletariats, also mit der Entstehung der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse, entweder in den USA oder in Belgien. Und meine Professorin sagte zu mir, dass wenn wir nach Belgien führen, würden wir beide zusammen hinfahren, ich solle meine Diplomarbeit schreiben und zwischendurch fahren wir nach Paris und kaufen Parfüm. Das machen wir, war meine Antwort. Zum Glück ist das nichts geworden. Als Student gab es da keinerlei Beschränkungen, auch nicht seitens der Professoren, wenn solch ein Thema vergeben wurde, war es selbstverständlich, dass so etwas nicht ohne vor Ort zu sein auch bearbeitet werden konnte. Allerdings musste ich – das wusste ich damals noch nicht – einen kleinen schicksalhaften Zettel unterschreiben, der auch relativ neutral rüberkam. Und zwar, wenn man im Ausland weilt, weder über die DDR erzählt noch Kontakte knüpfen und natürlich zurückkehren, sich also im Rahmen der Bedingungen bewegt. Wenn ich nach Belgien gegangen wäre, hätte ein Diplom gemacht, hätte ich heute nicht unterrichten dürfen, dann wäre ich in der Stasi gewesen, obwohl das erstmal nichts damit zu tun zu haben scheint.
Das hat sich aber alles zerschlagen, weil ich schwanger war. Ich habe mich beurlauben lassen für ein Jahr, und als mein erstes Kind geboren war und mich gerade ein wenig erholt hatte, war mein zweites Kind unterwegs. Ich habe mir das dann nicht mehr zugetraut, denn es gab keine Krippenplätze. Man hatte jeder Frau einen Krippenplatz versprochen man die Geburtenrate durch finanzielle Zuwendungen forciert – und man konnte sich in der DDR ja auch in Ruhe lieben und Kinder kriegen und Fremdgehen auch, das war alles nicht so spießig und kontrolliert, also machten die Leute das auch – aber die Plätze waren gar nicht da. Wohnungen und Krippenplätze, das waren die großen Mängel, weshalb die Leute oft weder ein noch aus wussten und den beruflichen Weg doch abbrechen mussten. So ging es mir auch. Ich bin dann meinem Mann gefolgt, er hat in Eisenach sein Diplom gemacht, als Ingenieur in der Automobilbranche. Wir hatten überhaupt kein Geld. Mein Mann lief ja ebenfalls noch als Student, das hieß für uns beide ca. 200 Mark Einkommen im Monat. Die Miete machte ca. ein Drittel unseres Verdienstes aus. Es war ein kärgliches Studentenleben.
Ich entschloss mich dann aber, wieder zu studieren. Das war für mich kein Zustand, ich arbeitete in Gotha in einem Großbetrieb im Außenhandel und da habe ich viel Geld verdient. Trotzdem habe ich mich dazu entschlossen zu studieren, weil ich meine wissenschaftlichen und kulturellen Ambitionen verwirklichen wollte. An das Lehrerdasein habe ich gar nicht gedacht ich bin kein Lehrerfreund gewesen und heute noch nicht. Diese Möglichkeit ergab sich für mich dann aber nicht mehr. Das war damals Alltag und ist es wahrscheinlich heute ebenfalls, wenn man zwei Kinder hat. Für eine wissenschaftliche Karriere musste man schon erwägen, ob man seine Familie im gewissen Sinne im Stich lässt oder sich ihr zuwendet. Das Lehrerstudium war also ein Kompromiss. Das Studium habe ich dann auch erfolgreich absolviert, das war natürlich anstrengend mit Familie und Kindern. Das klingt alles so leicht, wenn man immer sagt, in der DDR wurde alles gefördert, so war das nicht – ich lief zum Beispiel nicht über die förderwürdigen Leute, das hieß Arbeiterschaft zu sein, in der SED musste man sein, dann hätte ich 300,- Mark Stipendium bekommen. Da ich aber nichts von alledem war, sondern alles nur „mein Wunsch“ – wie man das dann formulierte – war es sehr schwer. Ich musste kämpfen, auf allen Verwaltungsgremien in Magdeburg bin ich mit meinen Kindern hingezogen und habe gesagt, ich möchte studieren. Immer wieder wurde mir gesagt: Mädchen, das geht nicht. Ich sagte, gut, dann komme ich nächste Woche wieder, vielleicht haben Sie sich das bis dahin anders überlegt. Ich war immer wieder dort und fragte, wo es geschrieben steht, dass ich nicht studieren darf. Dafür gab es aber keine Richtlinien. Irgendwann habe ich dann jemanden getroffen, der so genervt war, dass sie mich doch studieren ließen. Ich wollte eigentlich Sport studieren, das wurde mir allerdings ausgetrieben. Für ein Sportstudium war ich bereits zu alt ( 26 oder 27 ). Die Fakultät war eine Zweigstelle der DFK Leipzig, das war ja das renommierte Institut für unsere Nachwuchssportler und da musste man schon was bringen. Deshalb habe ich mich dann für ein Studium der Geschichte und Deutsch entschieden.
1981 bin ich dann an die POS Lindenhof, später Leninschule, gekommen und musste genau wie die Lehrer im Westen – das möchte ich mit Nachdruck betonen, denn in der Hinsicht werden wir bis heute diskriminiert – ein zweijähriges Referendariat absolvieren, außer vielleicht man war politisch vorbelastet. Alle anderen mussten in diesen zwei Jahren beweisen, dass sie zum Lehrer taugen. Nach einem Jahr, mir wurde aufgrund guter Leistungen – und vielleicht auch aus sozialen Gründen, denn ich hatte bereits zwei Kinder im schulfähigen Alter – ein Jahr erlassen. Ich verdiente zum ersten Mal richtig Geld. Das waren ca. 700,- Mark. Da arbeitete ich dann eine ganze Weile, bis mich eine Mutter, die Direktorin an einer Berufsschule war und krampfhaft einen Deutschlehrer suchte, abgeworben. Und weil ihre Söhne bei mir lesen und schreiben gelernt hatten, fragte sie mich – es ging also nicht anders als heute, nicht alles über Partei und Stasi. Den Segen von der Schulverwaltung gab es auch und es fehlte nur noch die Partei. Weil ich aber der Tochter der Parteisekretärin ebenfalls Lesen und Schreiben beigebracht hatte – deren Töchter jetzt wieder meine Schüler sind – und anscheinend einen guten Ruf genossen habe – wir kannten uns ja nicht persönlich – hat sie das ebenfalls befürwortet und ich konnte dann an die Berufsschule wechseln. Das war der endgültige Ritterschlag. In der Berufsschule hat man wesentlich mehr Geld verdient, denn die wurden aus der Wirtschaft unterstützt. Man konnte im Prämiensystem besser bedacht werden. Ich hatte es dort sehr gut. Ich war die einzige Deutschlehrerin, niemand konnte mich verbessern. Geschichte musste ich an den Nagel hängen, denn auch die wenigen Abiturienten – das war eine Berufsschule für Gastronomie – hatten keinen Geschichtsunterricht. Hier hatte ich meinen Platz gefunden, als dann die Wende kam.
Die Betriebe wurden dann aufgelöst und somit auch die Berufsschulen und meine Schulleitung empfahl mir dann, mich für das Gymnasium zu bewerben und da ich auch politisch nicht vorbelastet war, konnte ich am Gymnasium unterrichten. Ich landete beim Scholl-Gymnasium, zu dem ich eigentlich nicht wollte, denn als ich Abiturient war, gab es in Magdeburg drei EOS. Zwei waren althergebrachte EOS OvG und EOS Humboldt – ich lernte damals am EOS OvG – und das dritte war das 1949 neu geschaffene Geschwister-Scholl-Gymnasium, für das Proletariat. Und so heimlich bestand ja noch der Krieg zwischen dem Bürgertum und dem Proletariat. Das Bürgertum belächelte die Arbeiterkinder. Das zeigte sich dann immer beim Sportfest in der Hermann Gieseler Halle, gegenüber saßen sich OvG und Humboldt und an der Stirnseite musste Scholl Aufstellung nehmen und wenn die einliefen pfiff alles und manchmal flogen auch schon mal ein paar Sachen hinüber.

oje, eine einzige Frage und ein Monologschwall ergießt sich. ;) Kann ich mir gut vorstellen, dass das anstrengend war! Trotzdem die freche Frage: gibts davon noch mehr? :P

Shhhhh - 22. Jun, 22:27

Ja gibt es, ich möchte jedoch das Referat abwarten, was am 02.07.11 von uns gehalten wird, vielleicht kann ich dann auch noch Bezug nehmen zu einzelnen Textstellen, die wir verwendet haben.

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