Diese zungenbrecherische Weisheit tröpfelte gerade durch mein Gehirn. Aber wie sich das bei Zungenbrechern gehört, dauert es eine Weile bis das Ganze fehlerfrei umgesetzt wird und so verwundert es nicht, dass trotz anhaltender Plusgrade immer noch viel zu viel Schnee herumliegt.
Bei viel freier Zeit macht man selten, was man muss, dafür jede Menge was man möchte. Mir geht es zumindest so. Ich hätte über die kurze Semesterunterbrechung eigentlich Nietzsches Zarathustra lesen müssen aber die mir entgegengebrachte Sperrigkeit ließ mich viel öfter zu einem anderen Philosophen greifen - dem im Rum ertrinkenden Paul Kemp aus Thompsons Roman „Rum Diary“.
Paul Kemp ist Anfang 30, hat die halbe Welt bereist und die andere Hälfte hat er gut im Blick. Er scheint in vielerlei Hinsicht mit dem Autor zu verschmelzen, Thompson war ebenfalls in Puerto Rico angestellt. Auch das Alter deckt sich ungefähr mit dem, welches Thompson hatte, als er auf Puerto Rico war. Und so kommt man nicht umhin, vieles des Geschilderten als Erlebtes deuten zu wollen und Thompson war niemand, der daraus einen Hehl gemacht hätte. Sein Hang zur Übertreibung scheint die einzige sichere Grenze zwischen Fiktion und Realität – aber was scheint bei Thompson schon sicher?
Kemp ist ein desillusionierter Reporter, der keine Mühe hat, den amerikanischen Hinterhof als solchen zu enttarnen. Neben dem eigenen vergehenden Feuer – schön beschrieben an einem jüngeren Kollegen, von dem es des Öfteren heißt, er sei Kemp sehr ähnlich, als dieser noch jünger war – wird auch das Fieber der Insel sehr treffend gezeichnet. Zwielichtige Gestalten treiben sich auf dieser Insel herum und wollen mit Grundstücksspekulationen und allerlei anderen undurchsichtigen Geschäften ein Stück vom großen Kuchen Puerto Rico abbekommen. Die Schilderungen dieser Gesellschaft erinnern nicht selten an Szenerien aus der Zeit der „New Economy“ oder den Investitionsblasen auf dem amerikanischen Immobilienmarkt – euphorische Gestalten, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und in aller Stille verschwinden, wenn die Zuckerglasur vom Keks gelutscht ist. Paul Kemp hingegen ist da bescheidener. Auch er profitiert davon, dass die Amerikaner hier groß absahnen wollen, aber er teilt nicht deren große Euphorie. Er hält sich bedeckt, er hat viel zu schnell begriffen, dass er nicht zu denen gehören wird, denen hier das große Geld winkt, weil er dafür einfach zu anständig ist. Also widmet er sich lieber dem Rum, lässt keine Party aus und findet über kurz oder lang eigene Gründe, das sinkende Schiff zu verlassen.
Alles in allem ist die Beschreibung der 60er Jahre Puerto Ricos sehr gut gelungen, auch wenn ich persönlich den Eindruck habe, dass hier nicht unbedingt ein 30jähriger schreibt. Die vorgebrachten Weisheiten sind grundsätzlich pessimistisch, sie treten auch viel offener zu Tage, als es bei „Fear and Loathing in Las Vegas“ der Fall war. Die Verfilmung dieses Romans konnte vieles zeigen, was im Buch nur unterschwellig zur Sprache kam. Auch „Rum Diary“ soll mit Johnny Depp in der Hauptrolle verfilmt werden. Vielleicht kehren sich die Verhältnisse dann um, und die pessimistische Grundstimmung tritt in den Hintergrund – ich würde mir das an manchen Stellen wünschen.